Northanger Abbey
dir keinen Begriff von dem Matsch; komm, du mußt mitfahren, du kannst dich doch jetzt nicht mehr weigern.«
»Die Burg würde ich schon gern sehen – aber darf man richtig darin herumlaufen? Darf man alle Treppen hinaufsteigen und in alle Gemächer schauen?«
»Ja, ja, in jeden kleinsten Winkel.«
»Aber dann … wenn sie vielleicht nur für eine Stunde ausgefahren sind, bis es trockener wird, und danach noch kommen?«
»Keine Sorge, das wird nicht geschehen, denn ich habe gehört, wie Tilney im Vorbeifahren einem Reiter zurief, daß sie bis nach Wick Rocks wollten.«
»Dann komme ich mit – soll ich, Mrs. Allen?«
»Ganz wie du möchtest, Liebes.«
»Mrs. Allen, Sie müssen sie überreden«, drängten jetzt alle. Mrs. Allen blieb nicht taub für ihr Bitten: »Nun, mein Liebes«, sprach sie, »dann fahr besser.« – Und innerhalb von zwei Minuten waren sie losgefahren.
Die Gefühle, mit denen Catherine den Wagen bestieg, waren mehr als gemischt, im Zwiespalt zwischen der einen großen Freude, um die sie gebracht worden war, und der anderen, die hoffentlich bald an ihre Stelle treten würde, der ersten so fremd und doch fast ebenso groß. Sie konnte nicht finden, daß es schön von den Tilneys war, die Verabredung mit ihr so bereitwillig dranzugeben, ohne auch nur ein Wort der Entschuldigung an sie. Es war erst eine Stunde über die Zeit, die sie für ihren Gang vereinbart hatten, und so sagenhafte Mengen an Matsch während dieser Stunde auch angefallen sein sollten, schien ihr nun, da sie es mit eigenen Augen sah, doch, daß sie es ohne weiteres hätten wagen können. Sich so von ihnen brüskiert zu wissen tat weh. Andererseits verhieß die Aussicht, ein Gemäuer wie Udolpho erkunden zu dürfen (denn als solches sah sie Blaize Castle in ihrer Phantasie), genug der Wonnen, um sie für nahezu alles zu entschädigen.
In flottem Tempo rollten sie durch die Pulteney Street und Laura Place, ohne daß zwischen ihnen viel gesprochen wurde. Thorpe redete mit seinem Pferd, und sie gab sich wechselnden Betrachtungen über gebrochene Versprechen und zerbrochene Mauerbögen, Phaetons und Falltüren, Tilneys und Turmverliese hin. Auf der Höhe der Argyle Buildings allerdings schreckte folgende Frage ihres Begleiters sie auf: »Wer ist dieses Mädel, das Ihnen so nachstarrt?«
»Wer? Wo?«
»Rechts auf dem Gehsteig – jetzt ist sie wahrscheinlich gleich außer Sicht.« Catherine drehte sich um und entdeckte Miss Tilney, die am Arm ihres Bruders langsam die Straße entlangging. Beide blickten sie hinter Catherine her. »Halt, Mr. Thorpe, halten Sie an«, rief sie ungeduldig. »Das ist Miss Tilney, da geht Miss Tilney. – Wie konnten Sie behaupten, sie wären fortgefahren? – Halten Sie an, ich muß sofort aussteigen und zu ihnen gehen.« Doch was half all ihr Rufen? Thorpe trieb sein Pferd nur zu einem noch flotteren Trab; die Tilneys wandten sich ab und waren einen Augenblickspäter um die Ecke zum Laura Place verschwunden, und gleich darauf fegte das Gig mit Catherine darin auch schon über den Marktplatz. Dennoch beschwor sie ihn bis zum Ende der nächsten Straße immer weiter, er möge anhalten. »Bitte, Mr. Thorpe, bitte bleiben Sie stehen. – Ich komme nicht mit. – Ich weigere mich, mitzukommen. – Ich muß zu Miss Tilney.« Aber Mr. Thorpe lachte nur, ließ seine Peitsche schnalzen, feuerte sein Pferd an, gab seltsame Laute von sich und fuhr weiter; und da Catherine sich bei aller Empörung und allem Unglück außerstande zur Flucht sah, blieb ihr nichts übrig, als die Waffen zu strecken. Ihre Vorwürfe freilich sprudelten reichlich. »Wie konnten Sie mich so hinters Licht führen, Mr. Thorpe? – Wie konnten Sie sagen, Sie hätten sie auf der Lansdown Road gesehen? – Nie im Leben hätte ich es dazu kommen lassen. – Es muß so seltsam auf sie gewirkt haben, so unhöflich von mir, einfach ohne ein Wort an ihnen vorbeizufahren! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie zornig ich bin. – Clifton ist mir jetzt ganz verdorben, und überhaupt alles. Ich würde zehntausendmal lieber auf der Stelle aussteigen und zu ihnen zurücklaufen. Wie konnten Sie behaupten, sie wären Ihnen in einem Phaeton begegnet?« Thorpe verteidigte sich hartnäckig, erklärte, er habe sein Lebtag keine zwei Männer gesehen, die einander ähnlicher waren, und ließ sich kaum ausreden, daß es Tilney selbst gewesen sein mußte.
Sonderlich harmonisch konnte ihre Spazierfahrt auch nach Beendigung dieser Debatte nicht verlaufen.
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