Northanger Abbey
Lustbarkeiten können wir nicht mithalten; wir können Sie weder mit Abwechslung noch mit großem Prunk locken, denn unser Lebensstil ist schlicht und anspruchslos, wie Sie sehen; aber es soll an keiner Anstrengung unsererseits fehlen, um Ihnen Northanger Abbey nicht gänzlich unannehmlich zu machen.«
Northanger Abbey! – Das waren faszinierende Worte, und sie versetzten Catherines Gemüt in die größte Verzückung. So außer sich war sie vor Genugtuung und Dankbarkeit, daß ihr Herz es kaum vermochte, sein Überborden in die Bahnen einer leidlich beherrschten Ausdrucksweise zu lenken. Eine so schmeichelhafte Einladung zu empfangen! Sich so angelegentlich umworben zu wissen! Es war höchste Ehre und höchster Trost zugleich, es schloß alle Freuden der Gegenwart und alle Hoffnungen für die Zukunft mit ein; und ihre Zusage erfolgte entsprechend ungestüm, mit dem alleinigen Vorbehalt, daß Vater und Mutter es erlaubten. – »Ich schreibe sofort nach Hause«, sagte sie, »und wenn sie nichts einzuwenden haben, was ganz bestimmt nicht der Fall sein wird …«
General Tilney teilte ihre Zuversicht, denn er hatte bereits ihre vortrefflichen Freunde in der Pulteney Street aufgesucht und sich ihrer Zustimmung versichert. »Und nachdem sie bereit wären, auf Sie zu verzichten«, schloß er, »dürfen wir vom Rest der Welt doch wohl Abgeklärtheit erwarten.«
Miss Tilney unterstützte seine Bitten ernsthaft, wenn auch zart; und innerhalb weniger Minuten war die Sache ihrem Abschluß so nahe, wie die unumgängliche Anfrage in Fullerton es gestattete.
Der Tag hatte Catherines Gefühle sämtliche Höhen und Tiefen von Anspannung, Aufatmen und Enttäuschung durchlaufen lassen; nun aber waren sie sicher im Hafen vollständiger Seligkeit angelangt; und in einem Taumel der Begeisterung, mit Henry im Herzen und Northanger Abbey auf den Lippen, eilte sie nach Hause, um ihren Brief zu schreiben. Mr. und Mrs. Morland zweifelten an dem Urteil der Freunde, denen sie ihr Kind mitgegeben hatten, so wenig wie an der Schicklichkeit einer Bekanntschaft, die unter ihrer Aufsicht geschlossen worden war, und stimmten dem Besuch in Gloucestershire mit nächster Post zu. Ihr Ja, wenngleich nicht mehr, als Catherine sich erhofft hatte, gab ihr endgültig die Gewißheit, das glücklichste aller Menschenkinder zu sein, was Freunde und Fortune, Umstände und Aussichten betraf. Alles, wirklich alles fügte sich zu ihrem Besten. Die Gefälligkeit ihrer frühesten Freunde, der Allens, hatte ihr eine Welt erschlossen, in der Freuden aller Art auf sie warteten. Sämtliche ihrer Gefühle und Vorlieben waren erwidert worden. Überall dort, wo sie Zuneigung empfand, hatte sie Zuneigung wecken können. Ihre liebe Isabella sollte ihre Schwester werden. Die Tilneys, an deren guter Meinung ihr vor allem anderen lag, wollten sich ihre Nähe auf schmeichelhaftere Weise erhalten, als sie sich das in ihren kühnsten Phantasien auszumalen gewagt hätte. Sie würde ihr auserwählter Gast sein, sie würde wochenlang mit ihm, dessen Gesellschaft ihr alles bedeutete, unter einem Dach leben – und als wäre das noch nicht genug, sollte dieses Dach auch noch das Dach einer Abtei sein! Catherines Leidenschaft für alte Gemäuer kam gleich nach ihrer Leidenschaft für Henry Tilney – und sofern sich ihre Tagträumereien nicht um ihn rankten, waren sie gut mit Burgen und Klöstern ausgefüllt. Einmal Wälle und Bergfried oder einen Kreuzgang sehen und erkunden zu dürfen war seit vielen Wochen ihr Herzenswunsch, aber daß es mehr sein könnte als eine kurze Besichtigung, war zu undenkbar erschienen, um davon auch nur zu träumen. Dochgenau das sollte nun wahr werden! Wie leicht hätte es Northanger House sein können, Northanger Hall, Park, Place, Court oder Cottage, aber nein, es war Northanger Abbey, und sie durfte darin wohnen. All die langen, klammen Gänge, schmalen Zellen und die verfallene Kapelle würden tagtäglich in ihrer Reichweite sein, und ganz insgeheim hoffte sie dabei doch auch, auf die eine oder andere alte Legende zu stoßen oder auf irgendein gruseliges Andenken an eine unselige, vom Schicksal gebeutelte Nonne.
Es wunderte sie nur, daß ihre Freunde sich mit einem solchen Zuhause so wenig schmückten; daß sie gar so bescheiden damit umgingen. Die Macht früher Gewohnheit schien die einzig mögliche Erklärung. Eine Würde, in die sie hineingeboren waren, stellte für sie keinen Grund zum Stolz dar. Ihr privilegierter Wohnsitz bedeutete ihnen
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