Nosferas
Gespensterglauben des einfachen Volkes anhängt.«
Der Kardinal stützte sich mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte und beugte sich so weit vor, dass der Papst vor ihm zurückwich. »Das Volk ist weiser, als wir es uns manches Mal vorstellen können. In diesen Ruinen gibt es etwas Unheiliges, und es wäre unklug, es zu reizen.«
»Wenn es dort wirklich so etwas wie Dämonen des Teufels gibt, dann ist es unsere Pflicht als Vertreter der heiligen Kirche, uns ihnen zu stellen und sie zu bekämpfen!«
Der Kardinal nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. »Ja, das ist es, aber nicht jetzt. Es ist noch zu früh. Glaubt mir! Dies ist nicht der geeignete Zeitpunkt.« Er blieb stehen und sah den Papst eindringlich an. »Vertraut mir! Ruft de Rossi zurück, ehe ihm oder seinen Männern etwas Schreckliches zustößt, das Ihr nicht vor dem Herrn im Himmel verantworten wollt.«
Für einen Moment überlegte Pius IX., ob er dem Kardinal dieses eine Mal widerstehen und sich seinen Forderungen entgegenstellen sollte. Doch war es so wichtig, den Palast Neros gerade jetzt auszugraben? Die Visionen des Kardinals hatten nichts von ihrer verführerischen Kraft verloren. Ein vereintes Italien unter der Führung der heiligen Mutter Kirche … War ein alter, römischer Kaiserpalast es wert, diese Vision zu gefährden?
Pius IX. zwang sich zu einem Lächeln. »Gut, wenn Ihr meint, dann graben wir die Domus Aurea erst später aus.«
Die Anspannung schien aus dem Körper des in Rot gewandeten Mannes zu weichen. Er verbeugte sich vor seinem Kirchenoberhaupt. »Wie immer habt Ihr eine weise Entscheidung getroffen, Heiliger Vater. Ich darf mich für heute empfehlen.«
»Habe ich denn eine Entscheidung getroffen?«, sagte der Papst leise, als der Kardinal das Zimmer verlassen hatte. »Oder habe ich mich nur wie immer gefügt?«
»Seht mal!« Ivy zog verwirrt die Augenbrauen zusammen und deutete auf Zita, die sich heute den Säugling auf den Rücken gebunden hatte. »Wo ist Raphaela?«, fragte sie die rundliche Servientin, die zum ersten Mal nicht die mütterliche Güte ausstrahlte, mit der sie die jungen Vampire sonst stets empfing.
»Nicht da«, sagte sie kurz angebunden. Sie war nicht bereit, weiter über das Thema zu reden, sondern verteilte mit grimmiger Miene die vollen Becher.
»Da gab es wohl Ärger«, vermutete Luciano.
»Wenn ihr nur nichts zugestoßen ist«, meinte Ivy besorgt.
Alisa winkte ab. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe sie in der Oper gesehen und dann hat sie den altehrwürdigen Marcello noch woandershin begleitet. Vielleicht hat sie sich noch nicht von den dortigen Lustbarkeiten erholt?«, sagte sie verschmitzt.
Ivy nickte. »Wollen wir es hoffen.«
Als sie nach dem Unterricht in den Gemeinschaftsraum zurückkehrten, kamen sie noch einmal auf Raphaela zu sprechen, doch dann lenkten die Worte, die von einer anderen Sitzgruppe herüberwehten, sie von der Servientin und ihrem Fehlen an diesem Abend ab.
»Es ist eben eine unumstößliche Tatsache, dass die Dracas den anderen Familien überlegen sind«, sagte Franz Leopold und wandte sich wieder seiner Lektüre zu. Sein gelangweilter Tonfall zeigte, dass es nicht einmal eine bewusste Provokation sein sollte, sondern dass er tatsächlich daran glaubte. Alisa fühlte, wie wieder Wut in ihr hochstieg. Ivy schien es zu spüren, denn sie legte beruhigend die schmale, kühle Hand auf die ihre. Ihr Blick wanderte zu Luciano, der Feder und Papier von sich schob und den Wiener Vampir mit zusammengekniffenen Augen anstarrte.
Franz Leopold hob ganz langsam den Kopf und klappte das Buch zu. In seinen Augen schimmerte etwas, was Alisa und Ivy gleichzeitig die Luft anhalten ließ. »Ich entnehme dem Schwall animalischer Laute und hasserfüllter Schimpftiraden, dass du nicht in der Lage bist, dem Gang meiner Überlegungen zu folgen.«
Luciano bebte vor Zorn, und Franz Leopolds gestelzte Formulierung führte nicht dazu, ihn zu kühlen. Er trat ein Stück näher, seine Hände öffneten und schlossen sich wie in einem Krampf.
»Wie verblendet, ja blind bist du in deiner Überheblichkeit? Jede einzelne Unterrichtsnacht führt uns allen vor Augen, dass ihr nichts weiter könnt als reden und eurer Putzsucht frönen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es auch nur einem von euch gelungen wäre, ein Kreuz zu berühren oder Weihwasser ohne Verbrennungen zu überstehen. Selbst Fernand und Joanne sind inzwischen besser als ihr.«
Franz Leopold winkte
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