Nosferas
bis zur Tür, die in ihre Loge führte.
»Danke«, sagte Franz Leopold leise, ehe er sich abwandte und mit seinem Schatten davonging.
DIE HERAUSFORDERUNG
Ohne Anmeldung und ohne auch nur anzuklopfen, stürmte der Kardinal in die Privatgemächer des Papstes. Die beiden Männer der Schweizergarde riefen ihm empört hinterher, wagten aber nicht, ihn aufzuhalten.
Pius IX. war erschöpft. Er hatte den ganzen Tag Gruppen von Pilgern empfangen und ihren Nöten, aber auch ihrer Begeisterung gelauscht, was er eigentlich gern tat, doch nun war er müde und sehnte sich nach Ruhe. Und was er jetzt noch am allerwenigsten wollte, war, den Kardinal empfangen und mit ihm sprechen. Ja, allein sein Anblick war ihm eine Qual. Dennoch stemmte er sich aus seinem abgewetzten Lieblingssessel hoch und ging zur Tür, um den Schweizergardisten zu versichern, dass alles seine Ordnung habe. Er rang sich sogar ein beruhigendes Lächeln ab, obwohl rein gar nichts seine Ordnung hatte. Das war ihm nach einem Blick in des Kardinals Miene klar. Etwas hatte ihn erzürnt, und er würde nicht versuchen, diese Tatsache zu verbergen. Kardinal Angelo wartete nur darauf, dass der Papst die Tür schloss, um keine unfreiwilligen Zeugen zu haben für das, was der Heilige Vater sich gleich anhören musste. Dies würde nicht angenehm werden.
Für einen kurzen Augenblick erwog Pius IX., den Kardinal einfach stehen zu lassen. Doch er war nicht mehr der Knabe Giovanni Maria Mastai-Ferretti, der vor Schwierigkeiten davonlaufen und sich im Garten verstecken konnte. Er war das Oberhaupt der Christenheit, und er musste sich nun anhören, was sein Kardinal zu sagen hatte. Pius IX. nickte den Wachen noch einmal zu und schloss dann behutsam die Tür.
»Nun, was führt Euch so unverhofft zu mir?«
»Setzt Euch, Heiliger Vater«, sagte der Kardinal barsch.
Oje, so unangenehm! Pius IX. fühlte sich alt wie schon lange nicht mehr, als er zu seinem Sessel zurückschlich. Nein, vielleicht sollte er sich lieber an den Sekretär setzen. Der unbequeme Stuhl zwang ihn zumindest zu einer aufrechten Haltung und ließ ihn nicht so klein und unterwürfig erscheinen wie die weichen Kissen seines Sessels. Der Papst faltete die Hände auf der Tischplatte.
»Nun? Ist etwas vorgefallen?«, fragte er so freundlich wie möglich.
Der Kardinal lehnte den Stuhl, den seine Heiligkeit ihm anbot, ab und lief stattdessen mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor dem Sekretär hin und her.
»Allerdings ist etwas vorgefallen, weil Ihr Euch nicht an meine Anweisungen gehalten habt! Oder entspricht es etwa nicht den Tatsachen, dass Ihr de Rossi Eure Unterstützung für seine wahnwitzige Grabungsidee zugesagt und ihn damit auch noch zum König und zur Regierung geschickt habt, damit sie ihm Geld und Leute geben?!«
Zorn stieg in Pius IX. auf. Er hatte gedacht, über solche Gefühle längst erhaben zu sein, doch in diesem Augenblick war es alles, was er fühlte! »Anweisungen? Eure Anweisungen? Mir ist nicht bewusst, dass der Heilige Vater Anweisungen seines Kardinals befolgen muss!«
Kardinal Angelo bemerkte wohl, dass er in seiner Erregung zu weit gegangen war. Er zwang sich, auf dem angebotenen Stuhl Platz zu nehmen. »Verzeiht, Eure Heiligkeit, das war leichtfertig von mir im Überschwang der Gefühle dahergeredet. Natürlich trefft Ihr Eure Entscheidungen selbst. An mir ist es nur, Euch gute Ratschläge zu erteilen und zu hoffen, dass Ihr ihre Vorzüge erkennt.«
Gut gesprochen, dachte Pius IX. Er war sich der eindringlichen Wirkung der Persönlichkeit in der roten Robe wohl bewusst. Er war ein Verführer, mit Worten und mit Gesten.
»Und welchem Eurer wohlgemeinten Ratschläge habe ich versäumt zu gehorchen?«, fragte der Papst etwas schärfer, als er es beabsichtigt hatte. »Was ist falsch an Signor de Rossis Plan?« Er erwartete, der Kardinal würde nun von Neros üblem Charakter anfangen, von seiner Verschwendungssucht und vor allem seiner Grausamkeit, die so viele Christen das Leben gekostet hatte. Seine Gegenargumente waren bereits sorgfältig zurechtgelegt. Zu seinem Erstaunen sagte der Kardinal jedoch:
»Erinnert Ihr Euch nicht mehr, was die Grabung am Kolosseum angerichtet hat? Sie hat unheilige Schatten geweckt, Dämonen der Hölle, die so manchen guten Christen ins Verderben gestürzt haben. Wollt Ihr das wieder riskieren, um ein paar alte Gemäuer ausgraben zu lassen?«
»Kardinal«, sagte Pius IX. verblüfft, »ich hätte nicht gedacht, dass Ihr diesem
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