Nosferas
den Etruskern gelernt. Jedenfalls war vor dem Bau der Cloaca Maxima das ganze Tal zwischen dem Kapitolhügel und dem Palatin ein Sumpf, vom Tiber regelmäßig überschwemmt. Erst danach konnten die Römer das Forum bebauen. Auch heute noch überflutet das Hochwasser im Winter regelmäßig die unteren Stadtteile, vor allem den Hafen und das Judenviertel, aber durch die Entwässerung fließt es besser ab.«
Lucianos Stimme hallte dumpf von den Wänden wider, während er den Freunden voranging. Bald schon war es Alisa, als könne sie ihn besser erkennen. Die Luft wurde frischer. Sie näherten sich dem Ausgang am Tiberufer. Fischerboote moderten im Schlick vor sich hin. Bis auf ein paar streunende Hunde und die allgegenwärtigen Ratten waren keine Lebewesen mehr unterwegs. Auch im südlichsten der drei Stadthäfen ein Stück flussabwärts war es ruhig. Luciano winkte sie weiter. Sie waren bald gezwungen, das Ufer zu verlassen, da die Grundmauern einiger Häuser bis in die Fluten des Tibers hinabreichten. Lautlos huschten die drei jungen Vampire durch die leere Gasse, bis ein schmales Tor ihnen den Weg versperrte. Links führte eine Brücke auf die Tiberinsel, rechts verlief die Straße in einem Bogen an einer geschlossenen Häuserfront entlang, die abweisend wie die Mauern einer mittelalterlichen Festung wirkte.
»Wohin jetzt?«, fragte Alisa.
Luciano zögerte. »Ich weiß nicht. Das ist das Judenghetto. Allerdings hat der Papst vor einigen Jahren die nächtliche Torsperre aufgehoben. Wir sollten also wenigstens eines der Tore zu beiden Seiten offen finden. Das Judenviertel ist ein Gewirr winziger Gässchen und es leben unglaublich viele Menschen dort! Oder wir gehen über die Brücke und queren die Insel, um ins Viertel Trastevere zu gelangen. Der Weg ist zwar weiter, aber ich denke, wir kommen dort am Ufer schneller voran - und wir gehen nicht das Risiko ein, den Dracas auf der Engelsbrücke zu begegnen, falls sie inzwischen gemerkt haben, dass wir ihnen entwischt sind.« Er sah die Mädchen fragend an.
Alisa wandte sich der Brücke zu. »Wir sind gute Läufer!«
Ivy nickte und lief mit Seymour bereits auf die Ponte Fabricio zu, die sie auf die Insel führte.
Latona trat nach einem kurzen Klopfen in Carmelos Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Sie trug ein Abendkleid aus roter Seide, das ihrem fast mageren Körper schmeichelte. Das schwarze Haar hatte sie zu einer kunstvollen Frisur aufgetürmt, die ihr Vorhaben sicher nicht unbeschadet überstehen würde. Latona fühlte sich plötzlich erwachsen. Sie verbannte alle Erinnerungen an Malcolm und den Kuss aus ihrem Kopf und versuchte, sich nur auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Sie war die Assistentin von Carmelo, dem großen Vampirjäger!
»Nun, soll ich wieder den Lockvogel spielen? Was haben wir denn heute? Einen Alten? Ich hoffe nur, keinen von diesen zahnlosen Greisen.«
Carmelo lächelte grimmig. »Wenn er wirklich zahnlos wäre, könnte das von Vorteil sein, aber ich denke, so einfach wird er es uns nicht machen.« Viel zu sorgsam faltete er seine Zeitung zusammen und legte sie neben seinen Sessel. »Und um auf deine erste Frage zurückzukommen, nein, du wirst heute nicht den Lockvogel spielen. Daher ist deine Aufmachung völlig ungeeignet. Du musst dich umziehen.«
Latona schwankte zwischen Enttäuschung und Erleichterung, sagte aber schroff: »So, du willst mich nicht mehr. Hast du eine Bessere gefunden?«
»Es gibt keinen Grund, ärgerlich zu werden und die gesellschaftlichen Umgangsformen, die ich dir mühsam habe angedeihen lassen, zu vergessen. Es war das letzte Mal sehr knapp, und ich möchte weder, dass uns einer entwischt, noch dass es einen von uns erwischt. Du wirst mir helfen. Also zieh dir etwas Praktisches und Unauffälliges an, in dem du zur Not auch ein Stück laufen kannst. Kein mörderisches Schuhwerk!«
Latona nickte. »Und wie machen wir es, wenn wir dieses Mal keinen Lockvogel haben?«
»Wir haben einen.«
»Bitte?« Sie klang schriller, als sie es beabsichtigt hatte.
»Der Kardinal hat angeordnet, dass Nicola den Vampir zu uns führt.«
Latona schüttelte fassungslos den Kopf. »Die kleine Nonne? Das will ich nicht glauben. Dann kann er kein richtiger Kirchenmann sein! Er schickt diese kleine, naive Ordensfrau los? Ich fand es schon unentschuldbar, sie die Briefe abholen zu lassen.«
Carmelo kratzte sich die ergrauten Schläfen. »Du meinst, das spricht dafür, dass er kein Mann der Kirche ist? Er hat es ihr
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