Nosferas
Eisengitter zu Boden, als wäre es aus dünnen Holzsparren, trat aber nicht zurück. Sie konnte seinen kühlen Atem auf ihrer Wange spüren. Wie unter Zwang hob er langsam die Hand und näherte sie ihrem Gesicht. Ivys Finger umschlossen die seinen, ehe er ihre Wange berührte. Er hatte wundervolle, schlanke Hände, makellos und doch kräftig.
»Danke, Leo! Das war sehr mutig von dir.« Ivy ließ ihn los und fuhr mit den Fingerspitzen die Konturen seines schönen Gesichts entlang. Sie fühlte, wie er unter der Berührung erschauderte.
»Leo«, wiederholte er. »Das gefällt mir.« Und zum ersten Mal verschwand die kalte Arroganz vollständig aus seinem Blick und ein warmer Glanz ließ seine dunklen Augen schimmern.
»He, ihr da oben! Was ist?« Lucianos Stimme klang dumpf aus der Tiefe. »Wollt ihr uns vielleicht auch noch hier rausholen?«
»Nein, eigentlich nicht«, sagte Franz Leopold. Der Augenblick verwehte. »Du brauchst mir nicht zu widersprechen und auch nicht für deine Freunde zu betteln. Ich sehe ein, dass es Wirbel geben würde, sollten wir sie nicht wieder mitbringen. Warte hier!« Er eilte aus dem schmalen Hof, überquerte den Platz und verschwand in der Kirche.
»Ich hatte nicht vor, zu betteln«, sagte Ivy, doch er war schon fort. Seymour trat zu ihr, doch sie mied seinen Blick und verschränkte abweisend die Arme vor der Brust.
»Wie lange dauert das denn noch?«, ertönte Lucianos Stimme. Und Alisa fügte mit Besorgnis hinzu: »Es ist schon verdächtig hell hier unten. Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
»Genug, wenn ihr euch beim Klettern nicht allzu dumm anstellt«, antwortete Franz Leopold. Ein dickes Seil in den Händen war er aus der Kirche zurückgekehrt.
»Das ist gut!«, lobte Ivy. »Wo hast du das gefunden?«
»Es ist das Glockenseil«, antwortete er knapp, verknotete das eine Ende an dem schweren Gitter und ließ das andere in den Schacht fallen. Wenige Augenblicke später stand Alisa neben ihnen im Hof. Bei Luciano dauerte es eine ganze Weile länger. Ivy erwog schon, ihm Hilfe anzubieten, als seine Hände auftauchten und er mit einem Stöhnen über die Kante robbte. Schwer atmend blieb er liegen.
»Dickerchen, du solltest dich jetzt erheben, wenn wir nicht alle geröstet werden sollen!«
Luciano stemmte sich hoch und sah seinen Rivalen freimütig an. »Ich danke dir. Es war mutig von dir, zurückzukommen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas einmal ausgerechnet zu dir sagen müsste.«
»Dann spare es dir. Lasst uns lieber von hier verschwinden!«
»Schneller! Schneller!«, keuchte Carmelo und hastete den Gang entlang. »Sie dürfen uns nicht entkommen.«
»Was willst du tun? Gegen vier auf einmal kämpfen? Und vergiss den Wolf nicht!«
»Sie sind jung. Komm schon! Außerdem will ich sie im Moment ja gar nicht angreifen. Ich will wissen, wo sie ihren Unterschlupf haben. Die Zeit wird knapp! Sie müssen so schnell wie möglich in ihre Särge zurück. Und für alle Fälle habe ich ja immer noch das da!« Er zog im Laufen das silberne Schwert aus der Scheide.
Latona stolperte hinter ihm her. Es war stockdunkel, und sie konnte eher ahnen denn sehen, wohin sie lief. Sie ließ die Hand an der Mauer entlanggleiten und hoffte, dass der Boden so eben blieb. Dann tauchten die Umrisse der Treppe vor ihr auf, die sie hinter die Kirche führen würde. Sie raffte Rock und Mantel und hastete hinter Carmelo her, der die oberste Stufe bereits erreicht hatte.
»Nun trödle nicht! Wo ist dein Messer?« Er zügelte seine Schritte und folgte wachsam der Kirchenmauer zu den Ruinen hinüber, bis sie den Durchgang sehen konnten, der in den Hof führte, in dem der Zisternenschacht endete. »Sie kommen! Schnell, wir dürfen sie nicht verlieren! Bleib so lange wie möglich in Deckung.«
Vier Gestalten huschten aus dem Durchgang und liefen über den Kirchhof. Sie bogen in die nächste Gasse ein. Der Wolf hetzte ihnen voran. Carmelo und Latona rannten hinterher, doch der Abstand wuchs mit jedem Schritt.
Alisa griff nach Lucianos Hand. »Lauf! Wo müssen wir hin?«
Er hastete zwischen den aufragenden Wänden entlang auf den Kirchplatz hinaus. »Dort rüber und dann rechts.«
Ivy und Franz Leopold folgten ihnen. Seymour jaulte und jagte voran. Plötzlich hielt er inne und wandte sich um.
»Wir werden verfolgt«, sagte Franz Leopold zu Ivy.
»Ja, ich weiß, zwei Menschen. - Seymour, was hast du vor? Bleib hier!« Doch der Wolf hörte nicht auf sie. Er rannte die Gasse entlang auf
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