Nosferas
Trotzdem folgte er Alisa, um sein Glück zu versuchen. Er machte seine Sache auch wirklich gut, dennoch konnte Alisa nichts finden, das ihr weiterhalf. Sie stellte gerade resigniert das letzte Buch ins Regal zurück, als Vincent, vor sich hin summend, um die Ecke bog.
»Ah Alisa, du scheinst auch eine Liebhaberin von Büchern zu sein«, sagte er mit seiner hellen Kinderstimme, die so gar nicht zu seiner gewählten Ausdrucksweise mit dem britischen Akzent passte. Auch seine Augen sprachen von der langen Zeit, die er schon unter den Untoten weilte. »Hier wirst du nichts Interessantes finden. Was suchst du überhaupt?«
Alisa zögerte. Warum nicht? Wenn einer sich mit Büchern über Vampire auskannte, dann Vincent. Sie schalt sich, dass ihr der Gedanke nicht schon früher gekommen war. Doch wie viel sollte sie ihm erzählen? »Ich suche etwas über Vampire. Außergewöhnliche Vampire!«, begann sie vorsichtig.
Vincent sah abschätzend die Buchreihen entlang. »Da wirst du hier kein Glück haben. Aber ich nenne ein paar faszinierende Werke mein Eigen. Sie sind in meinen Särgen. Wenn du möchtest, zeige ich sie dir. Es sind Geschichten über Erscheinungsformen unserer Spezies, die in ihrer opulenten Ausschmückung so sicher nicht der Wahrheit entsprechen, aber einen wahren Kern enthalten. Die Geschichten reichen bis ins fünfzehnte Jahrhundert zurück.«
Alisa winkte ab. »Nein, das meine ich nicht. Mich interessieren Berichte aus neuerer Zeit. Gibt es heutzutage Vampire, die nicht zu einer der Familien gehören oder nicht bei ihnen leben?«
Vincents Augen verengten sich. »Wie kommst du auf so einen Einfall? Ist das wieder ein Aufsatzthema?«
»Nein«, sagte sie und ärgerte sich sofort darüber, dass sie die Ausrede nicht aufgegriffen hatte. »Nein, wir haben nur so darüber gesprochen und nun bin ich neugierig geworden.«
»Wir?«
»Luciano, Ivy und ich.«
Vincent nickte langsam. »Ivy, das Mädchen mit dem Silberhaar und dem weißen Wolf. Hier wirst du jedenfalls nichts finden. Leandro hat die interessanten Bände schon vor Wochen weggeräumt und wer weiß wo versteckt.«
»Was? Bist du sicher?« Alisa sah ihn verblüfft an, doch ehe Vincent etwas erwidern konnte, kam die riesenhafte Gestalt des Bibliothekars um das Regal.
»Was sucht ihr hier? Ich habe doch gesagt, dass diese Bücher nicht für dich bestimmt sind.«
»Gut, dann war es das für heute«, lenkte Vincent ein und führte Alisa hinaus. Leandro verschloss die Tür hinter ihnen. Mit einem Knall schob er den Riegel vor.
»So wie sich das anhört, sollten wir uns hier eine Weile nicht blicken lassen«, sagte Luciano, der draußen auf sie gewartet hatte. Zusammen schlenderten sie zum großen Hof zurück, wo gerade die letzten Nachtschwärmer in ihren Sänften zurückkehrten. Ein paar Altehrwürdige humpelten zu ihren Gemächern. Es wurde Zeit, die Särge aufzusuchen.
Als die drei sich der achteckigen Halle näherten, blieb Vincent unvermittelt stehen. »Eine Menschenfrau!«, stieß er hervor.
»Du hast den Verstand verloren!«, rief Luciano und lachte. »Wie sollte eine Menschenfrau in die Domus Aurea gelangen?«
»Ich kann sie aber spüren.«
Alisa schloss die Augen und konzentrierte sich auf die verschiedenen Fährten. Da war etwas, das nicht zu den vielen Vampirgerüchen passte. Etwas Wärmeres, Süßlicheres. »Ich glaube, er hat recht«, stotterte sie und stolperte hinter ihm in die Halle, wo der Duft immer stärker wurde. Und dann sahen sie sie: eine kleine alte Frau, zu deren Füßen zwei graue Wölfe kauerten.
»Tara, die Druidin«, hauchte Vincent beeindruckt.
In diesem Moment stürzte Ivy von der anderen Seite in die Halle und warf sich der alten Menschenfrau um den Hals. »Tara! Mein Gefühl sagte es mir, doch ich konnte es nicht glauben.«
Die Frau erwiderte die Umarmung. »Wie schlimm steht es um ihn?«
»Komm schnell! Ich bringe dich zu ihm.« Sie packte ihre Hand und zog die Alte hinter sich her. »Jetzt wird alles gut werden«, hörten sie Ivy noch sagen. Alisa und Luciano schauten einander verdutzt an.
Latona sah von dem Brief auf, an dem sie gerade schrieb. Sie brauchte nur einen Augenblick, um Carmelos Gesichtsausdruck zu deuten. »Wieder keine Nachricht!«
Er nickte, warf sich in einen Sessel und streckte die schlammigen Stiefel von sich. »Nein, das ist schon das zweite Treffen, das geplatzt ist.«
»Sie werden noch eine Weile vorsichtig sein, doch dann ist bald alles wieder beim Alten«, versuchte Latona
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