Nosferas
Schatten musst du mir bedingungslos gehorchen.«
Der Vampir hob seine breiten Schultern. »Wenn Ihr meint. Doch wie soll ich Euch dann beschützen, wenn Ihr gegen die Regel verstoßt und Euch dort draußen in Gefahr begebt? Es wird auch meinen Kopf kosten, wenn Euch etwas zustößt.«
»Das ist dann nicht mehr mein Problem«, erwiderte Franz Leopold kalt und ging davon. Er wusste, dass Matthias nicht gegen seine direkte Anweisung verstoßen würde. Und obwohl er ihn mit seiner stoischen Art eigentlich mochte, freute es ihn, dass er den ehemaligen Wiener Droschkenkutscher in Unruhe versetzt hatte.
Der junge Vampir spazierte zum nächtlichen Kolosseum hinunter, umrundete es und betrachtete den Triumphbogen auf der anderen Seite. Zwischen Amphitheater und Bogen waren die Reste eines großen, runden Brunnens mit einem konischen Mittelbau zu sehen. Franz Leopolds Gedanken weilten jedoch noch in der Domus Aurea, bei der Baronesse und dem Conte. Baronesse Antonia war trotz ihrer Eitelkeit und ihrer fast wahnhaften Leidenschaft für Putz und Tand eine gefährliche Vampirin, die wusste, was sie wollte, und ihre Ziele gnadenlos verfolgte. Selbst ihr Bruder hatte als Clanführer manches Mal Schwierigkeiten, ihr Zügel anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich gegen Conte Claudio durchsetzte, war also gar nicht so gering.
Franz Leopold lauschte verwundert in sich hinein. Er hätte sich freuen und triumphieren müssen bei der Aussicht, dass dieses verhasste Jahr in Rom vielleicht schon bald vorüber war und er in seine Wiener Heimat zurückkehren durfte. Und doch fühlte es sich eher wie Enttäuschung an. Hatte er sich wirklich so schnell an diese feuchten Ruinen gewöhnt? Seltsam.
Ein kurzes Heulen riss ihn aus seinen Gedanken. Franz Leopold drehte sich suchend im Kreis. Konnte das Seymour gewesen sein? Möglich. Vielleicht war Ivy irgendwo hier draußen. Er ließ den Blick zu den Ruinen des Palatinhügels hinaufwandern. War sie etwa allein mit ihrem Wolf unterwegs? Es konnte nicht schaden, das herauszufinden! Franz Leopold eilte zwischen Steinbrocken und Gebüsch auf den Hügel zu. Im Zickzack lief er überwucherte Treppen hinauf und unter Torbögen hindurch, die ihn von einer Terrasse zur nächsten immer höher führten. Bald erreichte Franz Leopold einen Garten, der aussah, als sei er irgendwann später wie ein Teppich über die römischen Ruinen gelegt worden. Am Rand des Gartens brachen die roten Ziegelmauern der Antike wieder durch, die den ganzen Palatinhügel bedeckten. Geschickt sprang Franz Leopold von einem Mauerrest zum nächsten, ohne dass sich auch nur ein Mörtelbrocken löste.
Dann blieb er stehen und konzentrierte sich darauf, Witterung aufzunehmen. War das nicht die Fährte des Wolfes? Er folgte dem leichten Hauch zwischen aufragenden Wänden, die in eine Art Tunnel übergingen, der im rechten Winkel abbog. Als die Spur den jungen Vampir wieder ins Freie führte, hörte er zu seiner Rechten einen Laut. In raschem Lauf überquerte er ein Ruinenfeld und blieb schließlich abrupt an einer Mauer stehen, die ein lang gestrecktes, grasbewachsenes Rechteck tief unter ihm einrahmte, das einst ein Stadion gewesen sein musste.
Eine Windböe rauschte über den Palatin hinweg und beugte die Zweige der alten Kiefern. Der Mond beleuchtete die Mauerreste, strich über den zerfallenen Bau gegenüber, von dem aus vielleicht der römische Kaiser die Wettkämpfe betrachtet hatte, und glitt dann über silberne Locken, die im Nachtwind wehten. Franz Leopold beugte sich weit über die Mauer. Dort drüben war Ivy, kein Zweifel, auch wenn sie sich nun ihre dunkle Kapuze wieder über den Kopf zog und sich im Schutz der Mauern verbarg. Doch da war noch etwas anderes. Er starrte auf den Schatten, der sich dem Mädchen zuwandte. Ja, sich zu ihr herabbeugte, so groß war er. Es war ein Mann. Der Wolf war nirgends zu sehen. War Ivy in Gefahr? Oder ging ihr Verstoß gegen die Regeln noch weiter, als nur hier draußen unerlaubt herumzuspazieren? So oder so, er musste dort hinüber! Er warf noch einen Blick auf den Mann und kniff dann die Augen zusammen. Hatte die Gestalt nicht eine Aura, die sie umgab? Es war nur ein leichtes Flimmern in der Luft. Er musste näher heran!
Franz Leopold ließ den Blick abschätzend die Mauer hinuntergleiten. Vermutlich könnte er die Höhe unbeschadet überwinden, aber sicher nicht unbemerkt! Er schaute sich nach allen Seiten um und entschied dann, das Stadion links zu umrunden. Geduckt hastete
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