Nosferas
er los. Der Mond verschwand hinter den Wolken, trotzdem konnte er vor sich bereits den Aufbau der Kaiserloge erkennen. Wo aber waren Ivy und der geheimnisvolle Fremde? Der junge Vampir blieb hinter der letzten Kiefer stehen und lugte um den dicken Stamm, als Ivy gerade aus einer Nische trat. Sie warf die Kapuze zurück und schüttelte ihr silbernes Haar. Franz Leopold unterdrückte ein Stöhnen, das ihm plötzlich in der Kehle lauerte. Das einzig Interessante war, wo war ihr Begleiter? In Gefahr schien sie jedenfalls nicht zu sein. Konnte er ihn deshalb nicht mehr sehen, weil sein lebloser Körper dort in den Schatten der Nische vor seinen Blicken verborgen lag? Franz Leopold lauschte in die Nacht. Wenn sie das getan hatte, dann war sie jetzt in seiner Hand! Es war eine Sache, ein wenig auf eigene Faust durch die Ruinen zu streifen, aber vor der Aufnahmezeremonie einen Menschen auszusaugen, das würde hart bestraft werden - wenn er es den Altehrwürdigen verriet. Franz Leopold grinste böse und drückte sich näher an den Stamm, als Seymour aus einem Gebüsch zu seiner Linken auftauchte und zu Ivy lief. Sie kniete sich neben ihn und legte ihre Stirn auf seine. Dann erhob sie sich, straffte den Rücken und trat direkt auf den Baum zu, hinter dem sich Franz Leopold verbarg. Hatte der verfluchte Wolf ihn gewittert?
Der junge Vampir wollte sich nicht die Blöße geben, in seinem Versteck entdeckt zu werden. Daher setzte er eine überlegene Miene auf und trat hoch erhobenen Hauptes auf die Lichtung. »Ah, welch angenehme Überraschung«, säuselte er mit falschem Lächeln. »Ihr auch hier? Nein, es darf mich nicht wundern. Die Nacht ist zu schön, um in den Mauern zu bleiben, die unsere Kerkermeister uns zugewiesen haben - äh nein, ich meine natürlich unsere verehrten Professoren!«
In Ivys Lächeln stand so viel Wärme, dass es schon fast widerlich war. »Ich wünsche dir auch eine gute Nacht, Franz Leopold. Es war für dich sicher nicht schwer, meiner Spur zu folgen. Sollte ich daraus lernen, in Zukunft vorsichtiger zu sein?«
Er erwog, die Unterstellung abzustreiten, ließ es dann aber sein. »Es tut mir leid, dass ich dich gestört habe. Das lag nicht in meiner Absicht. Wo ist denn dein düsterer Bekannter so schnell hin verschwunden?«
Für einen Moment verengten sich ihre türkisfarbenen Augen. »Wovon sprichst du?«
»Ach, nun komm, erzähle es mir. Ich habe euch von dort drüben gesehen. Er war groß und kräftig!« Franz Leopold reckte die Nase ein wenig nach vorn und sog die Luft ein. »Es wird doch wohl kein Mensch gewesen sein, den du hier in der Einsamkeit seines Blutes beraubt hast?«
Ihre Belustigung schien echt. Sie lachte hell auf. Und da er weder an ihr noch von den Ruinen her den Duft eines Menschen ausmachen konnte, war diese Vermutung also falsch. Dann musste es ein Vampir gewesen sein! Aber was war das für eine seltsame Aura gewesen, die die Gestalt umhüllt hatte?
»Komm, lass uns zurückgehen«, schlug Ivy vor und machte sich auf den Weg. Franz Leopold sah noch einmal zu den Ruinen hinüber, dann eilte er ihr nach. Der Wolf knurrte leise.
»Erzähle es mir lieber gleich, denn ich werde es sowieso herausfinden!«
»Warum sollte ich es dir dann erzählen? Willst du mir drohen? Es gibt nichts herauszufinden. Du hast dich getäuscht. Außer Seymour und mir war niemand da!«
Franz Leopold schwieg. Er konzentrierte sich ganz auf ihren Geist. Vorsichtig streckte er seine Gedanken aus, dann dehnte er die Kraft blitzschnell aus - und wurde überrascht. Eigentlich hatte er nicht mit einem Erfolg gerechnet, doch für einen Moment konnte er in ihr Bewusstsein eindringen, ehe sich die Barriere wieder schloss und er mit einem schmerzhaften Stich hinausbefördert wurde. Franz Leopold rieb sich verstohlen die Stirn. Er war überzeugt gewesen, eine Lüge vorzufinden, aber der letzte Satz fühlte sich wahr an. »Außer Seymour und mir war niemand da!«
»Lass es sein!« Sie lächelte zu ihm hoch. »Willst du noch ein wenig durch die Farnesegärten spazieren? Sie sind sehr schön. Kardinal Alessandro Farnese hat sie im sechzehnten Jahrhundert hier zwischen den Ruinen anlegen lassen. Eine prächtige Villa gehört auch dazu. Es war zur Zeit der Renaissance wohl eine beliebte Mode, sich mit dem Prunk der Antike zu schmücken.«
»Verschone mich mit deinen Vorträgen! Bist du jetzt zur Professorin erhoben worden? Du hörst dich schon genauso unerträglich an wie Signora Letizia, das alte Folterweib!
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