Nosferas
inne. Die Zweige von Büschen raschelten. Er konnte den Schein einer kleinen Lampe ausmachen. Dann kroch ihm der Geruch des Mädchens in die Nase, und Malcolm wusste, was das zu bedeuten hatte. Sie war zurückgekehrt, um das zu suchen, was sie hier verloren hatte. Sie roch verdammt aufregend! Malcolms Atem beschleunigte sich. Nun konnte er sie zwischen den Büschen und Steinblöcken erkennen, wie sie langsam näher kam. Ihr Blick schweifte über die Äste zum Boden und dann zum nächsten Busch. Die Lampe erhellte ihr Gesicht. Obwohl sie heute ein Kleid und einen einfachen Damenmantel darüber trug, war kein Zweifel möglich. Sie war nicht wirklich schön zu nennen, ganz anders als die beiden Vampirinnen aus Wien, und dennoch strahlte sie etwas aus, das ihn über ihr warmes Blut hinaus anzog. Es war diese Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit, die seinem Wesen so vertraut war. In ihren Augen schimmerte etwas, das im Blick eines Mädchens ihres Alters nichts verloren hatte.
Sie wäre an ihm vorbeigegangen, ohne ihn zu bemerken, hätte er sie nicht angesprochen. Fieberhaft suchte er nach den Brocken Italienisch, die er gelernt hatte. »Buona sera signorina, cerca qualcosa?«
Latona fuhr zusammen und presste die Handflächen auf ihr rasendes Herz. Dann erst entdeckte sie den Jungen, der sie angesprochen hatte. Sie hielt die Laterne ein wenig höher und betrachtete das ebenmäßige Gesicht, das blonde Haar und die Kleider aus Tweed, die ihr so schmerzlich vertraut erschienen. Sein Akzent jagte einen Stich durch ihre Brust.
»Yes, I’m looking for something I lost a few days ago«, antwortete sie in gepflegtem Englisch, obwohl es schon viele Jahre her war, dass sie es ihre Muttersprache hatte nennen können.
Der Junge lächelte sie an und seine blauen Augen strahlten wie zwei Sterne. »Du sprichst gut Englisch. Zum Glück. Mein Italienisch ist lausig.«
Latona nickte und lächelte zurück. Wie blass er war. Er konnte noch nicht lange in Rom sein. »Ich heiße Latona, und du?«
»Malcolm.« Er nickte ihr zu und deutete einladend auf den Steinblock neben sich. »Setz dich doch. Es ist eine wundervolle Nacht, und es ist schön, in der heimischen Zunge zu plaudern.«
Sie zögerte. Da war etwas an ihm, das ihr Angst machte. Ein Teil ihres Geistes befahl ihr wegzulaufen, so schnell ihre Beine sie tragen konnten. Doch der andere Teil war von diesem hübschen, höflichen Fremden fasziniert. Er war so gar nicht wie die Jungen, die sie kannte. Die die Mädchen verspotteten und an den Zöpfen zogen und mit Steinen nach Katzen warfen. Er war so ernsthaft und erwachsen und sah sie mit einer Intensität an, die ihre Knie weich werden ließ. Sie sank auf den Steinblock hinab.
»Was tust du hier?«, fragte sie ihn.
»Ich genieße die Nacht. Den Mond und die Sterne, die Gerüche und Geräusche, die nur um diese Zeit die Herrschaft über die Welt erlangen dürfen.« Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, doch nicht etwas so Poetisches. Verwundert schüttelte Latona den Kopf.
»Was ist?«
»Du bist so - anders. Anders als alle Jungen, die ich in meinem Leben getroffen habe.«
Malcolm lachte leise. Ein wundervolles Geräusch, das ihr Herz rascher schlagen ließ. »Ja, das ist gut möglich. Doch auch du scheinst mir anders als andere Mädchen. Zumindest habe ich noch nicht gehört, dass es hier üblich wäre, nachts alleine durch die Ruinen zu streifen - und noch dazu in Männerkleidung und mit roten Masken vor dem Gesicht.«
Latona erstarrte. »Du hast mich in jener Nacht gesehen? Dann warst du es, der mich so erschreckt hat?«
Malcolm neigte den Kopf. »Das lag nicht in meiner Absicht. Doch willst du nicht ein wenig meine Neugier befriedigen? Welch großes Geheimnis verbirgt die Nacht vor deinen Mitmenschen?«
Latona zögerte. Mit jedem Augenblick, den sie bei ihm verbrachte, wuchs seine Anziehungskraft. Es war, als würde eine Aura ihn umgeben, die sie wie schwerer Wein beschwingte. Ihre Sinne schienen zugleich verwirrt und geschärft. Und dieser faszinierende Junge interessierte sich für sie und wollte ihre Geschichte erfahren! Wie trivial würde es sich anhören, wenn sie ihm nun sagte, sie habe sich die Kleidungsstücke nur von ihrem Onkel geborgt? Sie sah schon vor sich, wie er sich enttäuscht von ihr abwendete.
Latona strich sich eine Haarsträhne, die sich im Nachtwind gelöst hatte, hinter das Ohr und versuchte, ihrem Lächeln etwas Geheimnisvolles zu geben. »Nun, eigentlich darf ich nicht darüber sprechen«,
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