Nosferas
außerordentlich robust sind!«
Alisa zögerte einen Moment, doch dann fiel sie in Ivys unwiderstehliches Lachen ein.
Die jungen Vampire hatten sich schon gefragt, wer wohl den Anatomieunterricht übernehmen würde. Dennoch waren sie überrascht, als der Bibliothekar Leandro den Klassenraum betrat und sie aufforderte, ihm zu folgen.
»Er sieht wirklich nicht aus wie ein Bücherwurm«, stellte Alisa wieder einmal fest.
»Nicht wahr? Er ist eher ein Kämpfer, der die Objekte seines Schutzes auch mit Gewalt verteidigen würde, denn der typische Gelehrte«, stimmte ihr Ivy zu.
Leandro führte sie in einen kahlen Raum, in dem nur drei einfache Holztische standen. Auf ihnen lagen die drei Toten, die sie vergangene Nacht aus ihren Särgen geholt hatten. Jemand hatte ihnen die Kleider ausgezogen. An den Wänden brannten zwei Öllampen in ihren eisernen Haltern und beleuchteten die bleichen Körper.
»Ich habe zuvor noch keinen toten Menschen von so Nahem gesehen«, stellte Alisa selbst überrascht fest. Sie strich mit den Fingerspitzen über einen kalten Arm.
Es waren zwei Männer und eine Frau. Während die Frau und der Mann, der ganz links aufgebahrt war, aus der Blüte des sowieso sehr kurzen Menschenlebens herausgerissen worden waren, hatte der Mann in der Mitte ein recht hohes Alter erreicht. Sechzig oder siebzig. Die Menschen alterten sehr rasch, nachdem sie den Höhepunkt ihrer Kräfte überschritten hatten, und ihr Körper verfiel zusehends. Ein Vampir wurde zwar ebenso schnell wie ein Mensch erwachsen, doch dann verlangsamte sich alles. Die Mitte seines Lebens, in der er seine größten Kräfte besaß, dauerte zweibis dreimal so lange an wie bei einem Menschen, und das Alter kannte keine Grenze. Wenn der Wille sie nicht verließ, konnten die Altehrwürdigen ewig weiterexistieren.
Alisa richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die bleichen Menschenleiber. Wie die drei zu Tode gekommen waren, ließ sich nicht so leicht sagen. Nur der Körper des jungen Mannes wies äußerliche Verletzungen auf, die vermutlich sein Leben beendet hatten. Menschenkörper waren ja auch zu empfindlich! Knochenbrüche brauchten Wochen oder gar Monate, um zu verheilen, und wenn sie nicht sorgsam behandelt wurden, wuchsen sie schief zusammen, und die Glieder waren nicht mehr recht zu gebrauchen. Selbst die kleinsten Wunden begannen oft, zu faulen und zu eitern, und konnten den ganzen Körper vergiften, bis der Mensch starb.
»Was meinst du?«, fragte Ivy.
»Ein Unfall oder ein Sturz. Vielleicht hat er zu viel Blut verloren. Der Riss dort drüben an der Seite erscheint mir recht tief.« Bei den anderen beiden Körpern konnten sie nur Vermutungen anstellen.
»Die Frau ist im Kindbett gestorben«, sagte Luciano und senkte verlegen den Blick.
Die beiden Mädchen sahen ihn überrascht an. »Woraus schließt du das?«
»Pietro hat es gesagt. Das Kind war mit ihr im Sarg, doch sie haben seine Leiche dort gelassen.«
Alisa legte ihre Hand auf die genauso bleiche Hand der Menschenfrau. Sie konnte noch nicht lange tot sein. Ihre Haut wies an der Unterseite zwar dunkle Flecken auf, aber ansonsten hatte die Fäulnis noch keinen sichtbaren Schaden angerichtet. Bei den Männern dagegen waren die Bäuche aufgetrieben und aus Nase und Ohren rann dunkle Flüssigkeit. Alisa betrachtete noch immer die tote Frau. Ein seltsames Gefühl durchströmte sie. Wie merkwürdig, dass so viele in dem Augenblick starben, da sie ihre Art doch mehren wollten. Die Frauen waren so verwundbar und so zerbrechlich.
Ivy nickte, als sie ihre Gedanken laut aussprach. »Ja, in Irland ist das auch so. All die jungen Frauen laufen Jahr für Jahr mit geschwollenen Bäuchen herum und begraben die meisten ihrer Kinder, nachdem sie nur ein paar Augenblicke, Tage oder Monate auf der Erde weilten. Man kann zusehen, wie die Mütter mit jedem Jahr mehr verblühen, bis ihnen bei einer weiteren Geburt die Kraft fehlt und sie mit ihrem Kind ins Grab gelegt werden. Unsere Familien leiden darunter, dass gar keine Kinder mehr entstehen, doch wenn eines geboren wird, dann ist es kräftig, und ihm ist ein langes Dasein beschert. Manchmal frage ich mich, ob auch die Menschen zum Aussterben verdammt sind.«
Alisa schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Sie werden sich immer stärker vermehren, wenn ihre Erkenntnisse in der Medizin weiter so rasch voranschreiten. Vielleicht werden sie mit ihren Erfindungen den Tod irgendwann ganz besiegen und ewig existieren können wie
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