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Nosferas

Nosferas

Titel: Nosferas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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wir.«
    »Bei allen Dämonen, sie ist schon wieder bei ihrem Lieblingsthema angelangt«, stöhnte Luciano und verdrehte die Augen.
    »Ruhe!«, dröhnte die Stimme des Bibliothekars durch den Raum. Das Gemurmel der jungen Vampire erstarb. Er hatte sich eine Schürze umgebunden und hielt ein scharfes Messer in den Händen, wie es Chirurgen wohl für ihre Operationen verwendeten.
    »Kommt alle her. Ich fange mit diesem Mann an und zeige euch die Lage der wichtigen Adern. Es gibt Adern mit wohlschmeckendem Blut und solche mit fahlem. Ihr erkennt es an der Farbe und am Druck, der in der jeweiligen Bahn herrscht. Das frische Blut fließt stärker und ist von hellerem Rot. Ihr könnt es natürlich auch an seinem Geruch erkennen. Er prickelt ein wenig in der Nase und ist süßer. Aber Achtung! Werden diese Bahnen von einem ungestümen Biss verletzt, kann das menschliche Wesen leicht verbluten, selbst wenn wir uns an die Anweisung halten, dem Opfer nur so viel zu nehmen, dass es sich in kurzer Zeit wieder erholen kann.«
    Der Bibliothekar begann, die Haut des Toten aufzutrennen und die wichtigen Bahnen, von denen er gesprochen hatte, freizulegen. Er führte die Schneide erstaunlich geschickt und präzise, was man ihm bei seinen Pranken gar nicht zugetraut hätte. Dann schnitt er den aufgequollenen Leib in Form eines Y auf und zeigte ihnen die Organe der Menschen, deren Verletzung meist zu ihrem Tod führte.
    »Seht genau hin und passt auf«, mahnte Leandro. »Wenn wir hier fertig sind, werdet ihr selbst einen Teil freilegen.«
    Tammo trat von einem Fuß auf den anderen. »Ist das nicht unglaublich?«, raunte er seiner Schwester zu. »Ich fühle eine solche Gier in mir, dass ich nicht weiß, wie ich mich beherrschen soll. Es ist mir, als müsste ich auf alle viere fallen und wie Seymour in die Nacht heulen. Ich möchte wie ein Raubtier hinauslaufen und mir eine Beute reißen.«
    Alisa wusste, wovon er sprach. Sie selbst fühlte diese Unruhe in sich und das dumpfe Gefühl, wenn sich die Eckzähne weiter vorschoben. Der Geruch der Toten im Raum, der immer intensiver wurde, vernebelte ihren Verstand. Auch die anderen waren in einem Zustand zitternder Anspannung. Spitze Zähne schimmerten im Lampenschein. Selbst Seymour strich leise winselnd durch den Raum. Nur der Bibliothekar wirkte ganz ruhig. Vielleicht hatte er gelernt, den süßen Schmerz des Hungers zu beherrschen und zu unterdrücken. Es kostete Alisa große Überwindung, die ihr zugeteilte Aufgabe zu erledigen. Die Bilder und Wünsche, die in ihrem Geist entstanden, waren aufregend und erschreckend zugleich. Sie war fast ein wenig erleichtert darüber, dass die Clanmitglieder noch ein paar Jahre streng darauf achten würden, dass keiner ihrer Nachkommen auf Menschenjagd ging.
     
    Am frühen Morgen, noch bevor der Himmel sich erhellte, zu einer Zeit, da die meisten der jungen Vampire träge in den Sesseln ihres Aufenthaltsraumes saßen, schlüpften die drei Freunde noch  einmal ins Freie und wanderten ein wenig zwischen den Ruinen umher.
    »Das war spannend!«, schwärmte Alisa. »Ich habe so viel Neues über die Menschen gelernt. Es ist viel einprägsamer, wenn man selbst mit einem Messer in der Hand neben dem Körper steht, als wenn man nur in einem Buch blättert!«
    »Hört, hört«, lästerte Luciano. »Und das aus dem Mund unserer Bücherfanatikerin! Du wirst doch nicht etwa das Lesen aufgeben wollen?«
    »So ein Unsinn«, schimpfte Alisa. »Es heißt doch nicht entweder oder. Die praktischen Aufgaben bringen aber zusätzliche Erkenntnisse und Übung im Umgang mit dem Skalpell. Ich kann die Studenten gut verstehen, dass sie heimlich sezieren, obwohl die Kirche es verboten hat.«
    »Meine Erkenntnis besteht vor allem darin, dass die Anwesenheit von Leichen meinen Hunger noch unerträglicher macht«, sagte Luciano und zog eine klägliche Grimasse.
    »Seid still«, zischte Ivy plötzlich mit ungewohnt scharfer Stimme.
    »Wieso? Wir …«, fragte Luciano.
    »Still!«, herrschte ihn Ivy an. Sie lauschten, konnten aber nur das sanfte Rauschen des Windes hören.
    »Was ist?«, raunte Alisa, die dicht an Ivy herangetreten war. »Hörst du etwas?« Nun fiel auch ihr auf, dass Seymour das Fell sträubte und sich schützend vor Ivy gestellt hatte.
    »Nein, ich kann nichts hören und auch nichts riechen. Es ist mehr eine Ahnung.« Ivy zuckte hilflos mit den Schultern.
    Alisa schloss die Augen und versuchte, mit ihrem Verstand die Umgebung abzutasten. Da waren ganz schwach

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