Nosferas
haben wir hier in der Bibliothek keine solchen Bücher!« Er wandte sich demonstrativ wieder dem kleinen Londoner Vampir zu, der ihn erstaunt anstarrte.
Als die drei die Bibliothek verließen, um ihre Särge für den Tag aufzusuchen, kam Alisa noch einmal auf das Gespräch zwischen dem Conte und den Altehrwürdigen zu sprechen, das sie mit angehört hatten.
»Habt ihr den Eindruck, der Conte tut wirklich etwas gegen diese Vorkommnisse? Seit wir hier sind, sind schon mehrere Clanmitglieder verschwunden, und so wie es sich darstellt, haben sie ihre Existenz nicht freiwillig beendet. Und dann noch die toten Menschen? Ich habe jedenfalls nicht gehört, dass er ernsthaft versucht, dem auf den Grund zu gehen.«
»Vielleicht bekommen wir nicht alles mit?«, gab Ivy zu bedenken. »Immerhin hat er ein paar Servienten auf die zugegeben jedes Mal vergebliche Suche geschickt, wenn jemand vermisst wurde.«
Alisa schnaubte abfällig. Luciano sah sie finster an. »Versteh mich nicht falsch, Luciano, ich habe nichts gegen euren Clanführer und will ihm auch nichts unterstellen, aber vielleicht macht er es sich zu einfach? Es ist ja viel bequemer, sich jeden Abend mit der Sänfte ins Theater oder sonst wohin tragen zu lassen und dem Genuss zu frönen, als in den eigenen Reihen nach einem schwarzen Schaf zu suchen, das sich nicht an die Regeln hält.«
Luciano holte tief Luft. Sie dachte schon, er würde wütend werden und das Oberhaupt seiner Familie verteidigen, doch er sagte nur: »Ich weiß es auch nicht, aber ich werde Francesco fragen. Es gibt kaum etwas, was ihm in der Domus Aurea entgeht.«
Die drei verstummten, als sie in die Oktogonhalle traten und den altehrwürdigen Giuseppe entdeckten, der auf seinem Ruhebett lag und in einem Buch las. Sie traten näher und grüßten höflich. Der Alte hob den Blick und lächelte dann. »Ah, ihr seid das. Welch schöne Nacht, um durch die Stadt zu schlendern - wenn ich mich nur nicht so erschöpft fühlen würde. Vielleicht ist es aber auch nur die Langeweile.« Er hob das Buch hoch. »Selbst die Bücher habe ich alle schon mehrmals gelesen.«
Alisa legte den Kopf schief, um den Titel lesen zu können. »Del Primato Morale e Civile Degli Italiani von Vincenzo Gioberti. Das klingt interessant.«
Der Altehrwürdige lachte gackernd. »Interessant? Über den moralischen und politischen Primat der Italiener? Kind, du musst dich in der Kunst des Lügens noch üben! Nein, es ist das hochtrabende Gewäsch eines katholischen Priesters, aber die Idee ist interessant! Gioberti ist der Auffassung, dass Italien in der Geschichte der Menschheit vor allem deshalb eine außerordentliche Rolle gespielt hat, weil es der Sitz des Papsttums war. Es sei die schützende Hand und die Kraft der Kirche gewesen, die die Stadtstaaten vergangener Jahrhunderte habe aufblühen lassen. Und nun sei es für den Papst wieder an der Zeit, die Rolle des Führers zu übernehmen. Des geistlich und moralischen, aber auch des politischen!«
Alisa runzelte die Stirn. »Glaubt Ihr daran? Dass der Papst den König vertreiben und seine Stelle einnehmen könnte?«
Der Altehrwürdige zuckte mit den Achseln. »Das Buch ist aus den Vierzigerjahren. Zumindest damals hat Pius IX. die Gelegenheit nicht ergriffen, alle unter seinem Banner zu vereinen und die Österreicher zu verjagen, was ja das größte Anliegen der Länder Norditaliens war.« Alisa und Ivy hörten aufmerksam zu, während Luciano demonstrativ gähnte.
»Ah, ich sehe, die Politik der Menschen langweilt euch. Außerdem ist die Nacht weit fortgeschritten. Ich denke, es ist an der Zeit, dass ihr eure Särge aufsucht.«
Und damit waren sie entlassen. Alisa warf Luciano einen Blick voller Unmut zu, doch er schien es nicht zu bemerken. Er war nur allzu offensichtlich froh, dem Vortrag des Alten zu entkommen.
Die Freunde verabschiedeten sich und gingen zu ihren Schlafkammern, wo die Servienten schon auf sie warteten, um ihnen aus den Kleidern und in die steinernen Sarkophage zu helfen. Chiara lag bereits in ihren Kissen, während Leonarda ihr Kleid ausbürstete. Ivy und Alisa wünschten den anderen eine ungestörte Ruhe und kletterten in ihre Särge. Hindrik kam herein, warf einen prüfenden Blick durch den Raum und legte dann erst Ivys Deckel auf und dann Alisas.
Vertraute Finsternis hüllte sie ein. Stille senkte sich über die Domus Aurea, als sich die letzten Särge schlossen. Bevor Alisa einschlief, huschte noch ein Gedanke durch ihren Sinn.
Vielleicht
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