Notbremse
Verwicklungen, hat Herr Hocke mal gesagt.«
»Ich möchte Sie ganz herzlich und dringend bitten, uns zu sagen, worum es geht.«
»Die eine Sache war, dass Herr Lambert von ›Aspromedic‹ den Verdacht hatte, sein Konkurrent Rieder würde Ärzte und Apotheker bestechen. Korruption und so weiter. Hocke sollte die Beweise dafür liefern.«
»Und die andere Sache?«
Ongu ließ eine ewige Minute verstreichen, während Häberle geduldig wartete. »Ja, die andere Sache …«, machte der Chinese weiter, »das ist die Sache mit der Olympiade. In Peking.«
Die beiden Kriminalisten wurden hellhörig.
Der nahezu volle Mond stand direkt über dem Wilden Kaiser, dessen steile Felswände einen sanften Glanz ausstrahlten. Das Rauschen eines auf dem bewaldeten Bahndamm vorbeigefahrenen Zuges war von der Entfernung ausgeblendet worden. Die Oberfläche des Hödenauer Sees lag schwarz und glatt da. In ihr spiegelte sich der Mond. Die Grillen hatten ihr Abendkonzert beendet. Vereinzelt hallten die Schreie eines Nachtvogels aus den umliegenden Wäldern heraus. Die Pizzeria hatte um Mitternacht geschlossen und die Lichter gelöscht. Im Bistro und in der Boutique war der Betrieb schon früher eingestellt worden. Rundherum waren im Licht des Mondes Bäume und Sträucher schattenhaft zu sehen. Die Bergkette zeichnete sich deutlich vom nachthellen Hintergrund des Himmels ab. Schon hingen feine silberne Schleier in der Luft, die sich gegen Morgen vermutlich zu einem Bodennebel auswachsen würden.
Die Stille, die die junge Frau genoss, die auf einem der Bistrostühle saß, wirkte erholsam und war der krasse Gegensatz zu dem Treiben und Kreischen des vergangenen Sommertages. Sie sog die jetzt kühler gewordene Luft in sich hinein, lehnte sich zurück und blickte zum Mond. Sie liebte solche Nächte, sie war schon oft allein durch die Landschaft gegangen, auf Hügel oder in Lichtungen, um diese einzigartige Stimmung in vollen Zügen zu genießen. Dabei staunte sie jedes Mal, wie wenig Menschen von diesem wunderbaren nächtlichen Schauspiel der Natur mitbekamen. Die meisten, denen sie davon vorschwärmte, hatten keine Ahnung, wie das mit den Mondphasen funktionierte, dass die Sichel des zunehmenden Mondes anfangs tagsüber am Himmel stand und ihr Lauf täglich um ein bis eineinhalb Stunden verspätet war – bis schließlich nach 28 Tagen, bei Vollmond, die helle Scheibe groß und prächtig zur Abendzeit zu sehen war, während der abnehmende Mond erst um Mitternacht oder danach aufging.
Wer nahm heute schon noch von diesen Wundern der Natur Kenntnis, die seit Jahrmillionen mit der Präzision eines Uhrwerks abliefen und dies in universeller Dimension. Ein paar Stimmen, die vom anderen Ufer herüberkamen, holten die Frau aus ihren Träumen zurück. Dass sie in so einer Nacht nicht allein war, hatte sie bereits bemerkt. Liebespaare waren unterwegs, einen Angler hatte sie gesehen und Gruppen junger Leute, die vielleicht aus Abenteuerlust irgendwo hier im Freien übernachten wollten. In Sommernächten war man nie irgendwo allein, dachte sie und wurde von einer gewissen Trauer befallen. Trauer darüber, dass sie bisher keinen Partner gefunden hatte, der ihre Träume, ihre Romantik, ihre tiefsten Gefühle mit ihr teilte. Sie schloss die Augen und ließ die Ereignisse der vergangenen Tage an sich vorüberziehen. Sie hatte Lambert vertraut, sie hatte sich wieder einmal blenden lassen von Geld, Macht, Besitz und Luxus. Sie war ihm hörig gewesen, wenn man das so bezeichnen konnte. Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf. Bilder von seiner Terrasse, auf der sie schon Sterne gezählt hatte. Sie war in seine Arme gesunken, auch von seiner Leidenschaft angetan gewesen – aber ihre Zweifel, die damals schon an ihr genagt hatten, waren jetzt größer geworden. Noch einmal hatte sie getan, was er von ihr verlangte. Doch jetzt, da er ihr zu verstehen gegeben hatte, dass sie den Kontakt eine Weile abbrechen sollten, war ihr schmerzhaft bewusst geworden, worum es ihm tatsächlich gegangen war. Hinter ihr bewegte sich etwas. Ein Knacken war zu vernehmen. Sie drehte sich um, obwohl sie nicht gerade ängstlich veranlagt war, denn sonst würde sie derlei nächtliche Mondspaziergänge nicht unternehmen. Sie sah zum Parkplatz, wo seit geraumer Zeit zwei Autos standen. Doch sonst war da nichts zu sehen. Zumindest nichts, was sie von ihrem Platz aus entdecken konnte. Vermutlich war es ein Tier gewesen – ein Marder vielleicht, ein Siebenschläfer, ein Igel,
Weitere Kostenlose Bücher