Notbremse
Bistros, ging an den Tischchen und Stühlen vorbei, um die Startrampe des Lifts hinter der Boutique für die ersten Besucher vorzubereiten. Er besah sich beim Näherkommen die gebündelten Zugseile und blieb abrupt stehen, als sei er gegen eine Wand gelaufen. Die Seile, die normalerweise geordnet in ihrer Verankerung hingen, wirkten unordentlich. Markus suchte nach einer Erklärung. Es hatte doch in der vergangenen Nacht kein Gewitter und keinen Sturm gegeben. Und er war sich sicher, die Anlage gestern Abend ordentlich hinterlassen zu haben. Er sah sich um, doch mehr als diese wirr herumhängenden Seile fiel ihm nicht auf. Die Schaufensterscheiben der Boutique waren, soweit er es überblicken konnte, alle noch ganz. Und auch sonst deutete nichts auf irgendwelchen Vandalismus hin. Er ging vorsichtig ein paar Schritte weiter, besah sich das Zugseil, das jedoch straff wie überall in den Umlenkrollen hing, und auch am Bistro, so vergewisserte er sich noch einmal, war alles in Ordnung.
Er trat ein paar Schritte näher an die Startrampe der Liftanlage heran. Als die Ufermauer in diesem Bereich den Blick auf die Wasseroberfläche freigab, fühlte er sich wie vom Schlag getroffen. Dort, wo die Halteseile knapp das Wasser berührten, direkt an der niederen Betonmauer, schwammen Haare, blonde Haare. Ein ganzer Schopf hatte sich wie ein Fächer über die Oberfläche gelegt und schaukelte sanft in dem unruhigen Wasser. Markus spürte, wie der Schock von allen Teilen seines Körpers Besitz ergriff. Er war für ein paar Sekunden nicht mehr in der Lage, den Blick von dieser Haarpracht zu wenden. Und dann erst sah er das Entsetzliche: Der Kopf hing in einem der Halteseile. Er war zu mehr als zur Hälfte ins Wasser getaucht. Markus spürte, wie seine Knie weich wurden.
Wie in Trance fingerte er nach seinem Handy, das in der Jogginghose steckte. Er hatte die Telefonnummer von Erich einprogrammiert, Sabines Schwiegervater. Kripo Rosenheim.
42
Häberle und Linkohr waren auch schon früh aufgestanden. Heute, so hatten sie es gestern Abend vereinbart, würden sie diese feine Gesellschaft aufmischen und die fehlenden Stücke in das Mosaik einfügen – sofern ihre Theorie stimmte.
Als sie sich kurz nach halb acht im Frühstücksraum trafen, blickten sich die beiden Kriminalisten verwundert um.
»Entweder die sind alle schon zum See raus oder die pennen noch«, meinte Linkohr, nachdem er keine bekannten Gesichter erspäht hatte.
»Wahrscheinlich Langschläfer«, erwiderte Häberle, der sich auf dem Weg ans Büfett machte. »Nachtaktive Langschläfer«, fügte er süffisant hinzu. Wir werden sie heut schon noch wachrütteln.«
Linkohr folgte ihm zur Brotablage. »Da drüben«, er deutete in eine Ecke, »da sitzt wenigstens der Herr Doktor mit seiner schönen jungen Ärztin.«
»Da bin ich aber mal gespannt, ob sich der große Meister auch mal aufs Wasser wagt«, grinste Häberle, worauf Linkohr witzelte: »Sie könnten ja mal mit ihm eine schnelle Runde drehen.«
Der Kommissar sagte nichts. Er musste an seine ersten Versuche gestern Nachmittag denken und wie unsanft er einige Male zur Erheiterung der Zuschauer ins Wasser geplumpst war.
Noch während sie sich beim Blick aus dem Hotelfenster auf den heraufziehenden Sommertag freuten, hörten sie eine Männerstimme rufen:
»Herr Häberle – ist hier ein Herr Häberle?« Der Kommissar drehte sich verwundert in Richtung der Eingangstür, wo ein Kellner nach ihm Ausschau hielt. Häberle gab sich zu erkennen, stellte seinen Teller, auf den er bereits Käse und Wurst geladen hatte, an den Tisch zurück und wandte sich dem Mann zu. »Wichtiges Telefongespräch für Sie«, beschied ihm der Kellner und führte ihn in ein kleines Büro, wo der Hörer auf dem Schreibtisch lag.
»Ja, Häberle«, meldete er sich.
»Haben Sie es schon gehört – hier Markus Häberle«, hörte er eine aufgeregte Männerstimme.
»Was ist passiert?«, reagierte der Ermittler schnell und sah dabei auf ein Poster, das Kiefersfelden im Winter zeigte.
»Sie ist tot. Hier, am See.« Es folgte schweres Schnaufen.
Häberle spürte seinen Blutdruck steigen. Doch er blieb ruhig.
»Wer ist tot?«, fragte er zurück.
»Die Sylvia. Sie liegt im See, erdrosselt. Die Polizei ist schon hier.«
»Wir kommen sofort«, sagte Häberle, legte auf und eilte zu Linkohr zurück. Das Frühstück musste ausfallen.
Die beiden Kriminalisten erklärten dem Kellner, dass sie dringend wegmüssten, was auch Dr. Mirkas Aufmerksamkeit
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