Notbremse
Vorraum stehen und überlegten ihr weiteres Vorgehen. »Der Zug hält sicher an jeder Kuhmiste«, bemerkte Häberle und sah vorsichtig in den Waggon nach vorn. »Wir sollten den Herrschaften also auf den Zahn fühlen, bevor sie wieder aussteigen können.«
Häberle hatte beim Einsteigen registriert, dass diese Regionalbahn nur aus drei oder vier Waggons bestand und offenbar nur bis Rosenheim fuhr. Er schätzte die Fahrtzeit dorthin auf rund eine halbe Stunde.
Der Zug hatte inzwischen das Stadtgebiet verlassen.
»Meiner Einschätzung nach müssten nur drei Personen an Bord sein, die uns interessieren – sofern die Dame an der Rezeption recht hatte«, erläuterte Häberle seinem Kollegen, um sogleich die Namen aufzuzählen: »Horschak, Probost und unser ›Pferdchen‹. Der Chinese wird wohl kaum nordwärts gefahren sein. Ich schätze, der hat einen Zug in die andere Richtung genommen – nach Bozen.«
»Und Lambert?«, wollte Linkohr wissen, während auf der linken Seite durch den vorbeihuschenden Bewuchs hindurch der Hödenauer See zu sehen war, an dessen gegenüberliegendem Ufer Blaulichter zuckten. »Da«, deutete Häberle zur Glasscheibe in der Tür, »die Kollegen haben Großeinsatz. Schöne Bescherung zum Wochenende.« Ihm fiel ein, dass er eine Frage des Kollegen nicht beantwortet hatte.
»Lambert? Ich glaub kaum, dass er gestern am späten Abend noch mit der Bahn angereist ist. Er wird sich wieder in seine Limousine gesetzt haben und irgendwohin entschwunden sein, wo wir ihn nicht so schnell finden.« Sie mussten sich festhalten, weil der Gleisunterbau offenbar gewisse Unebenheiten aufwies.
Häberle war gerade im Begriff, durch den Waggon nach vorn zu gehen, als sich sein Handy meldete. Er blieb stehen und zog es aus der Innentasche seines Jacketts. Es war Fludium, der sich zunächst für den frühen Anruf entschuldigte, doch er habe eine interessante Neuigkeit, sagte er.
»Wir können jetzt davon ausgehen, dass in der alten Mühle manipulierte Geldspielautomaten deponiert waren!«
»Ach?«, staunte Häberle und sah jetzt durch die bewaldete Bahnböschung den See ganz nah vorbeiziehen. Drüben an der Startrampe des Lifts standen Einsatzfahrzeuge und mehrere Personen.
»Ja«, fuhr Fludium fort, »wir haben die Spielhallenadressen gecheckt, die sich in dem ausgebrannten Kombi fanden – alles dubiose Jungs, sag ich dir. Mafiöse Strukturen. Spielgeräte, die sich per Fernsteuerung manipulieren lassen. Oder die mit illegalen Spielen programmiert sind, die man per Knopfdruck, sobald eine Kontrolle kommt, wegzappen kann. Ganz raffinierte Sachen.«
»Und unser Plaschke von der Mühle hat sie ausgeliefert?«
»So sieht es aus. Man hat sie ihm aus Italien, genauer gesagt aus Bozen, zum Zwischenlager in die Mühle gebracht und von dort hat er die Kundschaft beliefert.« Fludium fügte nach kurzer Pause an: »Idealerweise mit dem Kombi von Rieder.«
»Du meinst, Rieder hat davon nichts gewusst?«
»Danach sieht es aus. Plaschke hat zwar bei Rieders ›Donau Pharma AG‹ gearbeitet, wenngleich natürlich auch schwarz, wie wir wissen – aber seine Knete hat er nicht allein mit dem Ausfahren von Medikamenten gemacht. Er hat sich seine Dienste für die Auftraggeber in Südtirol fürstlich bezahlen lassen – und zwar cash auf sein Konto in Bozen.«
Das klang logisch. Aber dann schienen Fludium schon wieder Zweifel zu packen, wie es dem Tonfall seiner Stimme anzumerken war: »Aber was das alles mit deinem Fall in Kiefersfelden und in China zu tun hat – das darfst du mich nicht fragen.«
Häberle wartete einen Moment, bis sie den See passiert hatten. »Wart’s ab, lieber Kollege«, gab er zurück und Linkohr wurde hellhörig, »was hältst du davon, wenn sich zwei Schicksale gekreuzt haben?«
Fludium wusste, dass es in solchen Situationen wenig Sinn machte, Häberle zu löchern. Offenbar hatte sich der Ermittler eine eigene Theorie zurechtgeschmiedet.
»Und wo sind Sie jetzt?«, fragte er stattdessen.
»Im Zug«, erklärte Häberle und verzog das Gesicht zu einem Schmunzeln. »Im Zug hat alles begonnen, im Zug wird alles enden.«
43
Kai-Uwe Horschak war zeitig zum Bahnhof gegangen und hatte zu seiner Verwunderung feststellen müssen, dass auch andere sich hier versammelt hatten: die schöne Ulrike und ihr pummeliger Berliner, beide mit handlichen Koffern. Horschak war deshalb abseits des Gebäudes stehen geblieben, um zu beobachten, in welchen Waggon die beiden steigen würden. Nachdem sie sich für
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