Notbremse
war.
»Fehlanzeige«, meldete Linkohr, als er wieder zurückkam. »Die müssen alle vorn sein.«
»Okay, dann lassen Sie uns gehen.« Häberle stand auf und ging voraus. Vereinzelt sah er im Vorbeigehen Fahrgäste an den Fensterplätzen sitzen. Im nächsten Wagen stach ihm über eine Sitzlehne hinweg der hervorstehende Teil eines Pferdeschwanzes entgegen. »Dort«, flüsterte er Linkohr zu und hatte mit wenigen Schritten die Sitzgruppe erreicht, an der zu seinem Erstaunen Ulrike Steinmeier allein saß, die kurzberockten Beine übereinandergelegt. »Guten Morgen, die Dame«, sagte Häberle locker, während Linkohr sie mit Namen ansprach und verkrampft lächelte.
Ulrike setzte sich aufrechter hin und besah sich die beiden Männer.
Linkohr stellte seinen Chef vor und erklärte: »Wir haben eigentlich gedacht, auch den Herrn Probost hier zu treffen.«
Die Frau unternahm den zwecklosen Versuch, ihren Rocksaum weiter Richtung Knie zu ziehen. Doch dazu fehlten schätzungsweise 25 Zentimeter, vermutete Häberle.
»Herrn Probost?«, fragte sie verlegen zurück. »Hat er denn etwas angestellt?«
»Wo ist Herr Probost?«, fragte der Chefermittler eine Stufe schärfer, während vor der Scheibe das Stationsschild ›Raubling‹ auftauchte und der Zug abgebremst wurde.
»Herr Probost ist vorgegangen. Er muss etwas erledigen«, antwortete Ulrike spitz.
Horschak saß in sich zusammengesunken dem Berliner gegenüber. Noch immer hielt Probost mit der rechten Hand in der Kitteltasche etwas umklammert.
»Dass Sie ein Doppelspiel treiben, ist mir klar«, zischte er. »Und wahrscheinlich haben Se uns durch diese Dussligkeit diesen Detektiv auf ’n Hals gehetzt. Bei allem, wat man so hört im Radio, haben sich die Schnüffler auf diese Dopingscheiße eingeschossen. Jetzt haben se wohl gestern bei Rieder und Lambert alles durchsucht. Und dat ham’n die nicht wegen unseren Spielgeräten getan.« Er unterbrach, weil der Zug wieder anfuhr. »Wissen Sie, wat ich gloobe: Wir sind nur durch Zufall in die Scheiße reinjeraten. Dat janz große Ding, an dem die sich festjebiss’n haben, war Ihre Dopingscheiße.«
Horschak nickte zaghaft.
»Aber dat spielt jetzt keene Rolle mehr. Irgendwie tut es mir leid um Sie.«
Horschak spürte Blutleere im Kopf und in allen Gliedern. Sollte er aufspringen, schreien, wegrennen? Dann würde ihn Probost hinterrücks erschießen. Mit einem Schalldämpfer, wie am Mittwochvormittag im ICE.
»Ich hab Ihnen bereits ein Angebot unterbreitet«, stammelte Horschak und versuchte, Haltung zu bewahren. Doch er zitterte und starrte auf Probosts linke Hand, die tief in der Jackentasche steckte. Langsam, ganz langsam bewegte sich diese Hand. Der Mann hielt den Atem an, sah in die eiskalten Augen, mit denen ihn Probost fest entschlossen und gnadenlos anblickte, und starrte wieder auf diese Hand, die jetzt einen metallenen Gegenstand hervorbrachte, ein Rohr, das auf ihn zeigte, der Schalldämpfer. Während er über die Sitzlehne hinweg eine Bewegung wahrnahm, nur schemenhaft und ohne sie zu registrieren, kam mit der Hand das Entsetzliche zum Vorschein: eine Waffe, an die ein Schalldämpfer geschraubt war, der unverändert auf seinen Körper gerichtet war. Er fühlte sich außerstande, etwas zu sagen. Er spürte sein Herz rasen, ihn umgab eisige Kälte. Schüttelfröste ließen seinen Körper erbeben. Er wollte schreien, doch er war wie gelähmt. Er wollte um sich schlagen, doch kein einziger Muskel bewegte sich. War es so, wenn man schon tot war?
Probost sagte nichts mehr. Er brauchte nur noch abzudrücken. Für ihn war es Routine. Abdrücken und verschwinden. Wie er es schon öfters getan hatte, seit man ihn dafür teuer bezahlte. In Berlin, wo er herkam, gab es genügend Auftraggeber aus den Weiten des Ostens, die ihre Probleme ohne Justiz und Anwälte zu lösen pflegten. Selbst politische Kreise hatten sich schon für ihn interessiert. Und manches, was wie ein Unfall ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit ganz anders gewesen.
Probost grinste in sich hinein, als er sich des völlig verängstigten Mannes bewusst wurde, der ihm gegenübersaß. Unfähig, noch etwas zu sagen, den Blick starr auf die Waffe gerichtet. Probost drehte seinen Kopf zur Seite, um sich zu vergewissern, dass sich niemand auf dem Mittelgang befand. Jetzt würde er es tun. Jetzt.
Häberle hatte den richtigen Moment erkannt. Seine Stimme schien den Waggon zum Dröhnen zu bringen:
»Hände hoch, Polizei.« Er hatte sich hinter Probosts
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