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Notbremse

Notbremse

Titel: Notbremse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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brauch eine Waffe, forderte sein Unterbewusstsein. Aber außer der Papierschere, die er im obersten Schubladenfach des Schreibtisches vermutete, fiel ihm nichts ein. In diesen Sekundenbruchteilen des lähmenden Entsetzens, als sein Gehirn keinen einzigen klaren Gedanken mehr zustande brachte, war unter dem Eindruck allerhöchster Anspannung auch seine Wahrnehmung getrübt. Für einen Moment schien es ihm, als schwenke die Tür bereits ein paar Zentimeter in den Raum hinein auf. Unmöglich, redete er sich ein. Das war unmöglich, ohne dass sich die Klinke bewegt hatte.
    Rieder schluckte. Sein Atem war flach, der Puls raste. Er behielt die Türklinke im Auge. Noch ein, zwei Sekunden lang. Vielleicht auch drei. Jedenfalls eine halbe Ewigkeit. Er ballte die eiskalten und schweißnassen Hände zu Fäusten, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Doch Kraft und Energie waren aus seinem Körper gewichen.
    Als das Schreckliche über ihn hereinbrach, so schnell und nahezu geräuschlos, dass sein Gehirn es zunächst gar nicht realisieren konnte, vermochte er sich nicht zu bewegen. Die Klinke klackte nach unten und die Tür schwenkte nach innen. Rieder war auf seinem Schreibtischstuhl zusammengesunken – nicht in der Lage, auch nur den geringsten Widerstand zu leisten. Vor ihm stand eine Person. Doch er nahm nicht ihr Gesicht wahr, nicht die Kleidung, nicht die Figur. Sondern nur eine schwarze Waffe, die auf ihn gerichtet war.
    Erst nach und nach realisierte Rieder, dass er es mit einem Mann zu tun hatte, der neben der offenen Tür stehen blieb. Der Manager hinterm Schreibtisch blieb regungslos sitzen und ließ langsam seine Augen von der Waffe zum Kopf des Eindringlings streifen, der eine triumphierende Haltung eingenommen hatte. In diesen Sekunden des beklemmenden Schweigens versuchten Rieders schockgelähmte Gehirnzellen, die Gesichtszüge des Fremden zu fixieren.
    »Na, überrascht?«, durchbrach der wesentlich jüngere Mann die spannungsgeladene Stille.
    Klar, diese Stimme, durchzuckte es Rieder. Jetzt bestand kein Zweifel mehr, wen er vor sich hatte. Doch sein Hals war viel zu trocken, um auch nur ein einziges Wort über die Lippen bringen zu können. Er zitterte. Schüttelfrost überfiel ihn. Sein Körper spielte verrückt.
    Der andere kam einen Schritt auf ihn zu und steckte die Waffe in die Innentasche seiner blauen Freizeitjacke.
    »Keine Angst«, sagte er lässig, »ich will Sie nicht umbringen. Aber ich denke, die Zeit ist reif für ein Gespräch.« Er lächelte und trat dicht an die Schreibtischfront heran. »Zu einem Gespräch unter Männern.«
     
    Obwohl es schon lange nach Mitternacht war, wollte sich Häberle keine Ruhe gönnen. Maggy hatte einige Kollegen verständigt, die aber inzwischen längst wieder nach Hause gegangen waren. Doch die neue Situation erforderte dringende Ermittlungen. Wenig später hatte sich der Lehrsaal im Polizeirevier erneut gefüllt. Drei Kannen Kaffee standen bereit, als Häberle gegen 2.15 Uhr die Vorgänge schilderte und in müde Gesichter blickte.
    »Kollege Linkohr ist mit zwei Streifenbeamten zur Adresse nach Nellingen auf die Alb gefahren«, erklärte er abschließend. »Wir wissen nicht, ob der Tote dort Angehörige hat. Falls nicht, müssen wir seine Wohnung öffnen.«
    Auch Fludium war sofort wieder zur Dienststelle geeilt. »Diese Ärztin hat tatsächlich keine Ahnung, was das für mysteriöse Pakete waren?«, hakte er nach.
    Häberle lehnte sich gegen die weiße Wand. »Nein, nicht die geringste. Wie mir scheint, war sie ziemlich in den angeblichen Geheimpolizisten verknallt – und hat um sich rum nicht mehr viel mitgekriegt.« Er fügte nach kurzer Pause hinzu: »Sie wird im Laufe des Vormittags hier auftauchen. Ihr könnt sie ja mal durch die Mangel drehen. Aber bitte vorsichtig. Ist ein liebes Mädchen.«
    Einige der Kriminalisten grinsten. Dann jedoch wechselte ein älterer das Thema: »Ist doch seltsam, dass dieser Tote gerade dort gefunden wird, wo nur 200 Meter Luftlinie davon entfernt der ICE notgebremst wurde.«
    »Das will mir auch nicht aus dem Kopf«, räumte Häberle ein. »Aber was würde es für einen Sinn machen, wenn dort einer aus dem Zug springt, nur um zu dieser alten Mühle zu kommen. Nein«, er schüttelte wieder mit dem Kopf, »das passt nicht zusammen.«
    »Und doch muss es einen Zusammenhang geben«, meinte Fludium, der bereits die zweite Tasse Kaffee in sich hineinkippte. »Einen Zusammenhang, der über das Opfer vom Zug unstrittig besteht.

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