Notbremse
auf diesem diskreten Weg erhielt. Lambert studierte noch einige weitere Bildschirmseiten, bis er die CD auswerfen ließ und eine zweite einlegte, die ihm vorige Woche zugestellt worden war. Er scrollte den Bildschirm nach oben, um auf ›H‹ zu stoßen. Sie hatten sich darauf verständigt, den richtigen Namen nicht zu nennen. Man konnte schließlich trotz allergrößter Vorsichtsmaßnahmen nie sicher sein, dass die CD eines Tages nicht doch irgendwie in die falschen Hände geraten würde.
›H. hat am Hödenauer See den Mann aus Peking getroffen‹, las Lambert, während er die Maus verkrampft in der rechten Hand hielt. ›Sie haben am Donnerstag in der Zeit von 20.45 Uhr bis 22.35 Uhr auf der Terrasse der Pizzeria miteinander gesprochen. Ich konnte mich nicht an den Nebentisch setzen, sondern nur schräg gegenüber. Es war mir nicht möglich, das Gespräch zu belauschen. Sie haben sich aber angeregt unterhalten. Am Schluss ging es wohl um einen Flug nach Peking. H. hat von einer Maschine der Emirates über Dubai gesprochen. Ich konnte Tag und Uhrzeit nicht feststellen.‹ Die Hunde waren also schon so weit, dachte Lambert zornig. Er hatte dies bereits vorige Woche mit einem Anflug ohnmächtiger Wut zur Kenntnis genommen. Ein Absatz dieses Protokolls war ihm aber in Erinnerung geblieben. Dieser erschien ihm rätselhaft, was er jedoch dann verdrängt hatte, weil die Notiz offenbar nichts mit seinem Auftrag zu tun hatte. Lambert scrollte weiter und fand auf Seite 23, was er suchte: ›H.’s Geschäftsfelder sind nicht nur auf sein eigentliches Kerngeschäft ausgerichtet, sondern umfassen weitere Bereiche. Welche das sind, entzieht sich derzeit meiner Kenntnis. Es stimmt, dass H. sich seit November offenbar fünfmal im Raum Bozen aufgehalten hat. Ob dies in einem Zusammenhang mit seinen geschäftlichen Aktivitäten steht, kann ich vorläufig nicht sagen.‹
Lambert las den Absatz noch einmal. Dass der Kerl häufig dort unten war, hatten sie doch von Anfang an gewusst. Wie aber war jetzt die Bemerkung zu deuten, dass ein Zusammenhang mit seinen geschäftlichen Aktivitäten bestehe? War der Schreiber dieser Zeilen noch einer anderen Sache auf der Spur? Oder war der Bericht nur unglücklich formuliert? Lambert hasste Ungenauigkeiten. Zumal er den Mann fürstlich für seine Dienste entlohnte. Am liebsten hätte er ihn angerufen. Doch der Gedanke war natürlich Schwachsinn. Die Sache konnte sehr unangenehm werden, schoss es ihm durch den Kopf. Ein Glück nur, dass es so etwas wie ein Gleichgewicht des Schreckens gab.
Der Taxifahrer sprach kein Wort Englisch. Sein Fahrgast hatte ihm beim Einsteigen eine Visitenkarte hingehalten, auf der die Adresse des Zieles stand. Der Mann hinterm Steuer, der vermutlich in diesem Betonmeer aufgewachsen war und angesichts seines Alters die verheerenden Folgen des sozialistischen Bauwahns hautnah miterlebt hatte, war mit seinem VW-Santana wie der Teufel aus dem Hof des Hotels in die enge, vorbeiführende Straße eingebogen. Doch der flotte Fahrstil wurde schon nach wenigen 100 Metern auf der mehrspurigen Stadtautobahn, falls es sich überhaupt um eine solche handelte, gestoppt. Das Taxi musste sich in den zäh fließenden Verkehr einfädeln, während die Dämmerung schon weit fortgeschritten war.
Der Chauffeur nahm es gelassen hin und verzog sein dunkelhäutiges Gesicht alle paar Minuten mit einem Seitenblick auf seinen Fahrgast zu einem Lächeln. Der blonde Deutsche musste zum wiederholten Mal daran denken, dass er in den Augen der Chinesen eine ›Langnase‹ war. Dabei hatte er vorhin beim Blick in den Spiegel selbstkritisch festgestellt, dass seine Nase doch überhaupt nicht als lang eingestuft werden konnte.
Kurz vor 22 Uhr erreichten sie das Touristenlokal, das sich für den Geschmack des Deutschen nicht gerade in der feinsten Umgebung befand. Doch mehrere Reisebusse und jede Menge Autos, die ziemlich ungeordnet entlang der Zufahrt parkten, ließen darauf schließen, dass er in keine Spelunke gelockt worden war. Er gab dem Taxifahrer die geforderten Yuan und ein großzügiges Trinkgeld. Dann stieg er in die Schwüle der aufkommenden Nacht hinaus und ging die paar Schritte zu einem offen stehenden Portal, von dem er annahm, dass es der Eingang war. Er betrat eine Art Foyer, in dem es Pflanzbeete und Wasserrinnen gab und wo ihm warme Luft entgegenschlug. Er kam sich vor wie in einem Gewächshaus. Verunsichert ging er weiter und bemerkte, dass seitlich mehrere Restaurant-Räume
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