Notbremse
Kollegen an der massiven Holztür der Einliegerwohnung zu schaffen machten. Sie befand sich im Untergeschoss, das jedoch aufgrund der leichten Hanglage auf der Gebäudevorderseite ebenerdig zu erreichen war. Linkohr klingelte vorsichtshalber einige Male, um zu vermeiden, dass man die Tür aufbrach, obwohl Sylvia Ringeltaube inzwischen heimgekommen war. Doch es rührte sich nichts.
»Sie glauben doch nicht, dass sie tot ist?«, hörte Linkohr plötzlich die Stimme der älteren Dame, die mit ihrem Mann hinter einer blühenden Sommerstaude stand, um die Szenerie zu beobachten.
Linkohr erwiderte nichts, sondern bat den ergrauten Schlossermeister, tätig zu werden. Der öffnete seinen Werkzeugkasten und förderte verschiedene kleine Werkzeuge zutage, die den jungen Kriminalisten eher an die Hilfsinstrumente eines Zahnarztes oder an einen Feinmechaniker erinnerten. Der Handwerker war offenbar beim Öffnen verriegelter Sicherheitsschlösser geübt. Wenn alles gut ging und die Tür nur ins Schloss gezogen war, eben so, wie es die kriminalpolizeiliche Beratungsstelle im Hinblick auf Einbrüche immer bemängelte, dann hielt sich der Schaden in Grenzen.
Linkohr und die vier Kollegen der Spurensicherung verfolgten gespannt, wie der geübte Schlosser mit dünnen Metallteilen in die Schlüsselöffnung fuhr und diese vorsichtig drehte. Die Abendsonne brannte noch heiß gegen die Gebäudefront, die von vielen blühenden Sommerblumen umgeben war. Drei Sonnenblumen ragten zwischen ihnen deutlich heraus und schienen noch höher wachsen zu wollen, denn noch war kein Blütenansatz zu erkennen.
Linkohr wollte schon ungeduldig werden, als ein kaum wahrnehmbares Klicken das Warten beendete: Die Tür schwenkte nach innen auf.
»Bitte sehr, meine Herrn«, sagte der Schlosser stolz und packte seine Utensilien wieder zusammen. »Die Rechnung folgt«, fügte er an, doch das interessierte die Kriminalisten nicht. Dafür gab es in der Verwaltung ganze Stäbe von Menschen, die nichts weiter taten, als sich täglich mit diesen Papieren zu befassen. Linkohr musste für einen Moment an Häberle denken, der im unablässigen Wachstum der Verwaltungen eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme sah, wie er es kürzlich wieder im Kollegenkreis bei einem Weizenbier kundgetan hatte.
Die Kriminalisten stülpten Plastikschutz über ihre Schuhe, um in der Wohnung vorhandene Spuren nicht mit eigenen zu vermischen.
Linkohr betrat als Erster die Diele, die ganz in Weiß gehalten war. An den rau verputzten Wänden hingen farbenfrohe, abstrakte Bilder. Die kleine Küche war in modernem Graumetall gehalten, das Schlafzimmer bestach mit orangegelben Bezügen. Eine ordentliche Frau, dachte Linkohr und musste an seine diversen verflossenen Freundinnen denken, deren Wohnungen meist ganz anders ausgesehen hatten. Eine seiner Exfreundinnen hatte sogar bei ihm innerhalb kürzester Zeit ein Chaos angerichtet. Hier aber wirkte alles aufgeräumt. Auch das Wohnzimmer, das aus einer Essecke und einer weißen Ledersitzgarnitur bestand, erinnerte ihn mehr an einen Ausstellungsraum eines Möbelhauses für junges Wohnen.
Während sich die Kollegen über die wenigen Schränke und Schubladen hermachten, um auf irgendetwas zu stoßen, das Ringeltaubes Aufenthaltsort verraten könnte, interessierte sich Linkohr für ein Notebook, das auf einem Sideboard stand und über ein Kabel mit der Telefonsteckdose verbunden war. Es machte natürlich keinen Sinn, den Computer einzuschalten, denn ohne Passwort, daran hatte Linkohr keinen Zweifel, würde er nichts erfahren. Sie mussten das Notebook mitnehmen und es von den Spezialisten der Polizeidirektion untersuchen lassen. Vielleicht gab es E-Mails oder es würden die letzten aufgerufenen Internetseiten irgendwelche Rückschlüsse zulassen.
Linkohr zog eine Schublade auf und entdeckte einige CD-ROMs und DVDs, die in kleinen Spindeln gestapelt, aber unbeschriftet waren. Dann entdeckte Linkohr auf dem Regal über dem Sideboard das Telefon, das in einer Ladeschale steckte. Eine rote Diode blinkte im Abstand weniger Sekunden und signalisierte, dass die Mailbox ein Gespräch aufgezeichnet hatte. Der junge Kriminalist nahm das kleine Gerät aus der Schale und überflog die Tastatur. Er drückte auf das Zeichen mit dem Briefkuvert, worauf sich eine freundliche Damenstimme meldete: »Sie haben eine neue Nachricht.« Nach kurzer Pause folgte die Mitteilung: »Donnerstag, 26. Juli, 00.37 Uhr.« Dann spielte die Mailbox eine aufgezeichnete
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