Notbremse
wollte. Oder besser gesagt: die er begrüßten wollte.
»Der Berliner«, klärte Sabine den noch immer rätselnden Horschak auf. Der Berliner, klar. Der bei Ulrike wesentlich mehr Glück hatte als er selbst. Er war ihm vor ein paar Wochen mal aufgefallen, ohne dass er sich sein Gesicht eingeprägt hätte. Horschaks Gedächtnis war nicht auf Männer ausgerichtet. Weil sich das nicht nur im Privatleben bemerkbar machte, sondern auch im geschäftlichen Bereich, hatte ihn dies schon oft geärgert. Aber er konnte einfach nichts dagegen tun. Er war eben aufs weibliche Geschlecht fixiert. Doch das, so redete er sich ein, dürfte wohl höchst normal sein.
»Seit wann treibt der sich denn hier rum?«, war alles, was ihm dazu einfiel. Kaum hatte er die Frage gestellt, war es ihm beinahe schon peinlich. Das klang in Sabines Ohren sicher wieder so, als sei er eifersüchtig.
»Wann er zuerst gekommen ist, weiß ich gar nicht«, antwortete sie und sah ihren Bruder Markus an, der mehr zu wissen glaubte: »Irgendwann im Mai, glaub ich. Er hat schnell Freundschaften geschlossen. Ein redseliger Typ. Aber die Berliner haben ja alle eine Schnauze.« Er lächelte. »Auch wenn sie sich mit den Bayern hier manchmal ein bisschen schwertun.«
»Wie lange macht ihr heute?«, fragte Horschak und meinte damit den Liftbetrieb.
»Willst du noch mal?«, erkundigte sich Markus.
»Oh, nein. Danke. Ich bin heut früh oft genug baden gegangen. Vielleicht morgen wieder. Mal sehen, was uns der Tag bringt.«
»Morgen wird der Andrang groß sein«, prophezeite Markus. »Wir werden die Anzahl der Runden reduzieren müssen.«
Horschak interessierte dies überhaupt nicht. Er beobachtete das Kommen und Gehen der Gäste. Es schien ihm, als ziehe der laue Sommerabend die Wassersportler geradezu an. Die meisten von ihnen wollten auch gar nicht mehr an den Lift, sondern offenbar nur Freunde und Bekannte treffen. Am Bistro waren inzwischen alle Sitzplätze belegt – und drüben in der Pizzeria, vor der sich inzwischen die Außenbeleuchtung im See spiegelte, hatte sich die Terrasse ebenfalls stark bevölkert.
»Hast du gehört, was bei der Tour de France los war?«, suchte Markus ein neues Gesprächsthema.
Horschak nickte und glaubte, drüben am Lift den rundlichen Berliner bei der viel größeren Ulrike zu sehen. »Doping, nichts als Doping«, meinte er abwesend, während sich Sabine jetzt einem Gast am Nebentisch zuwandte und mit ihm lachte. Der Geräuschpegel stieg.
»Was sagt man in Pharmaziekreisen dazu? Oder … mischt ihr womöglich auch mit?« Markus sah sein Gegenüber mit ironischem Grinsen an.
»Ich bin Vertreter, das weißt du«, entgegnete Horschak. Ihm war es weder nach Scherzen noch nach einer ernsthaften Diskussion zu einem geschäftlichen Thema. »Am besten, du fragst mal deinen Studienfreund Tobias. Der kennt sich in der Branche aus. Zumindest tut er so.«
Markus spürte, dass er dieses Thema jetzt lieber nicht vertiefen sollte. »Ich denk halt, dass der Leistungssport auf diese Weise vor die Hunde geht.«
»Mensch, Markus«, versuchte Horschak das Gespräch abzuwenden, »du bist doch auch Betriebswirtschaftler. Habt ihr denn in eurem Studium nicht gelernt, dass überall gelogen und getrickst wird, wo es um Macht, Geld und Einfluss geht? Niemand kann doch mehr so weltfremd sein, dass er dies nicht weiß. Und wer noch ein bisschen Ehrlichkeit in sich hat – vielleicht so ein paar Typen wie du …« Er grinste. »Ja, solche wie du, die werden doch früher oder später auch erkennen, dass uns die Politiker landauf, landab doch vormachen, wie die Menschheit angelogen werden will.« Er stockte. Inzwischen wars zwar bereits dämmrig geworden, aber das Gesicht des Mannes, der hinter einem der geparkten Autos hervortrat, erschien ihm fremdländisch. Asiatisch jedenfalls.
»Ich hab mir zum Grundsatz gemacht, dass sich Ehrlichkeit und Fairness auf die Dauer auszahlen. Das hat schon mein Vater immer gesagt. Er ist Metzgermeister und hat ein Berufsleben lang auf dem Dorf ein Geschäft geführt, bis zur Rente – und zuletzt im Kampf mit den Supermärkten. Aber er hat überlebt, weil er seiner Kundschaft eine qualitativ hochwertige Ware verkauft hat.«
Markus bemerkte, dass ihm Horschak nicht mehr zuhörte und sich stattdessen auf den Fremden konzentrierte, der sich dem Bistro näherte.
»Ach, das ist Lio Ongu«, klärte er auf. »Ein Chinese, der das Wakeboarding entdeckt hat.«
Markus sprang auf und begrüßte den neuen Gast per
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