Notbremse
ihre Blütenköpfe reckten. Ums Licht schwirrten Hunderttausende Mücken und Nachtfalter.
Die drei Männer stiegen aus dem Fiat, gingen durch den schmalen Vorgarten und erreichten eine weiße Alutür, an der es nur einen einzigen Klingelknopf gab, an dem kein Name stand. Häberle holte seinen Schlüsselbund aus der Jackentasche und hoffte inständig, dass er auch diesmal wieder Glück haben würde. Dann jedenfalls würde sich seine Theorie, die er sich inzwischen zurechtgelegt hatte, erhärten lassen.
Und tatsächlich: Der vierte Schlüssel, den er probierte, öffnete das Schloss. »Glückwunsch, Herr Kommissar«, meinte Marusso mit gedämpfter Stimme, während sie in einen kleinen Vorraum traten, das Licht anknipsten und die Tür hinter sich einrasten ließen. »Ihr Toter scheint überall Zugang gehabt zu haben«, konstatierte der Staatsanwalt weiter. Sie streiften sich erneut ihre dünnen Plastikhandschuhe über.
Häberle drückte die nächste Tür auf, die nur angelehnt war. Der Schein einiger Halogenlämpchen erhellte eine enge Diele, deren Wände einige Bilder der Chinesischen Mauer zierten. Auf einem Garderobenschränkchen standen bunte Teetassen und Miniaturlampions.
Eine weitere Tür führte in ein Schlafzimmer, dessen Doppelbett akkurat gemacht war. Der Kriminaltechniker öffnete eine Schranktür und besah sich die üppige Garderobe, die insbesondere aus dunklen Anzügen bestand, Größe 48. Ein kleiner Mann also, dachte er.
Marusso nahm Bad und Küche in Augenschein, ohne etwas Auffälliges zu entdecken. Der Bewohner schien ein ordnungsliebender Mensch zu sein. Für alleinstehende Männer ungewöhnlich, wusste er aus Erfahrung. Aber vielleicht gab es auch eine Frau, die hier den Haushalt im Griff hatte.
Häberle war ins Wohnzimmer gegangen, das zur Küche hin nur mit einer Theke abgetrennt war. Das Mobiliar bestand aus hellen Materialien: weiße Schrankwand, drei weiße Sessel und ein ovales Glastischchen. Auf den Regalen jede Menge Ambiente aus China, an der einzigen freien Wand ein Gemälde, das – so schätzte Häberle – den Eingang in die sogenannte Verbotene Stadt in Peking zeigte.
Er ließ seinen Blick an den Regalen entlangstreichen, auf denen jede Menge Fachbücher standen – auf Deutsch, Englisch und Chinesisch. Den Covern nach zu urteilen, handelten sie ausschließlich von chemischen Themen. Der Ermittler nahm einige davon in die Hand und ließ die Seiten durch die Finger gleiten. Dann besah er sich die Musikanlage, den kleinen Flachbildschirm und einige kleine Plastikdrachen, wie sie Touristen gern aus China mitbrachten. Sein Blick fiel auf das Telefon, das in einer Ladeschale steckte. Nichts blinkte. Offenbar war kein Anrufbeantworter geschaltet. Häberle kannte den Gerätetyp nicht, weshalb er gleich gar nicht den Versuch unternahm, die letzten gewählten Rufnummern zu suchen. Das konnten gegebenenfalls die Spezialisten machen, dachte er, als ihn die Stimme Marussos aus der Diele aufschreckte. »Herr Kommissar Häberle, ich hab was gefunden.«
Er ging hinaus und sah den Staatsanwalt mit einem ledernen Mäppchen winken. »Lag in der Schublade des Garderobenschranks«, erklärte er und reichte es Häberle. »Stecken Visitenkarten drin. Auch aus Deutschland. Vielleicht interessieren Sie sich dafür.«
Der Chefermittler nahm das Mäppchen, das aus vielen kleinen Plastikeinschüben bestand, in denen sich Visitenkarten aufbewahren ließen.
Beim flüchtigen Durchblättern sah er die Namen verschiedener chemischer Laboratorien, aber auch von italienischen und spanischen Kliniken, von diversen Diplom-Ingenieuren und einiger namhafter deutscher Chemiewerke. Außerdem gab es gut ein Dutzend Karten, auf die nur chinesische Schriftzeichen gedruckt waren. Häberle beschloss gerade, das Mäppchen mitzunehmen, da entdeckte er beim Zuklappen einen Schriftzug, den sein Auge blitzartig registrierte. »Detektei« – ja, es war die Visitenkarte einer Privatdetektei. Häberle blätterte noch einmal hastig die Plastikeinschübe durch und fand das Gesuchte sofort wieder: Privatdetektei Hocke und Hocke in Stephanskirchen bei Rosenheim. Sofort fiel ihm das Telefongespräch mit Linkohr ein. Jetzt wurde die Spur aber verdammt heiß.
»Ist was mit Ihnen?«, fragte Marusso, nachdem er den Kriminalisten für ein paar Sekunden mit dem aufgeschlagenen Mäppchen in der Hand schweigend vor sich stehen sah.
»Ich glaube, wir sind einen riesigen Schritt weiter«, erwiderte dieser und steckte das Mäppchen in die
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