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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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Jazan ist nervös. Hinten sind das Stadion und die Hochhäuser.
     
    Wie überall auf der Welt haben die Katzen ihre Spuren im Beton hinterlassen.
    In einer verlassenen Wohnung Teile einer Puppe, Essensreste, eine Röntgenaufnahme noch im Umschlag, zweifellos aus dem Libanon.
    Eine andere zerstörte Wohnung, ausgebrannt, voller Einschusslöcher. In einem völlig ausgebrannten Zimmer ein geschmolzener Fernseher. Auf einem Bett ein Computerfriedhof. Ein Mann hält Wache, auf einem Bürostuhl, Kalaschnikow in der Hand, beobachtet die Stellungen der Armee durch ein Granatloch in der Mauer.
    Wir gehen auf die andere Seite des Gebäudes, die Vorderseite, aber in einem Teil der Straße, der von einem anderen Gebäude gedeckt wird. Die Fassaden der Wohnungen, in denen wir gerade waren, sind voller Einschusslöcher von Mörsergranaten oder Raketen. Im Erdgeschoss ein großer verlassener Fitnessraum, mit rosafarbenen Wänden und grauem Marmorfußboden, die Geräte mit Gips bedeckt, im Hintergrund ein langer, von einer Kugel durchschlagener Spiegel. In einer Ecke schaukelt sacht ein dicker Punchingball.
     
    *
     
    12.30 Uhr. Freitagsdemonstration. Sie beginnt an der Moschee des Viertels. Die Männer beten; vorne skandieren Dutzende Kinder Parolen. Aktivisten mit Fahnen und Pappschildern treffen ein. Als das Gebet beendet ist, sprechen die Männer das takbir und strömen dann unter Allahu akbar! -Rufen vor die Moschee. Der Zug formiert sich schnell und zieht in Richtung der Hauptstraße von Baba Amr. An den Kreuzungen halten Soldaten der FSA Wache; am Ende der Straße ist eine Stellung der Armee. Der Zug geht Fahnen, Fotos von schahids und Pappschilder schwenkend die Straße entlang, einige Parolen sind auf Englisch (» WE WANT INTERNATIONAL PROTECTION « 32 ). Männer, Jugendliche, Kinder, selbst Babys mit ihren Vätern. Aber nur Männer: Die Frauen schauen von den Balkonen oder vom Straßenrand zu. Der Zug zieht unter den Hochhäusern der Scharfschützen hindurch, ohne Zwischenfall, dann an einer großen Moschee vorbei, der Hauptmoschee von Baba Amr, glaube ich, und an einer Schule, und biegt dann nach rechts ab. Größere Präsenz der FSA, ein Posten und einige bewaffnete Männer. Wir treffen in der Mitte einer großen Straße mit den anderen Demonstrationszügen von Baba Amr zusammen und vereinigen uns zu einer Riesendemonstration: Tausende Männer singen Parolen, tanzen Reihentänze und rufen das takbir ; dann kommt die Musik, auch Trommler, umgeben von Rundtänzen, die Jungen tanzen auch weiter den dhikr in Reihen und schreien Parolen. Im Zentrum der Demonstration bildet sich ein großes menschliches Oval um zwei Aktivisten, die mit Mikros auf einer Leiter stehen und Parolen rufen. Um sie herum sind Trommler und die ersten Tänzer, Schilder auf Englisch, an die Arabische Liga gerichtet; auf einer Seite haben sich die Frauen versammelt, ein Meer von weißen, rosafarbenen und schwarzen Schleiern. Viele Frauen haben Babys auf dem Arm und herzförmige Luftballons in der Hand. Sie applaudieren begeistert, rufen, stoßen schrille Schreie aus und skandieren auch die Parolen. Männer schwenken ihre Schuhe in der Luft. Die Dächer und Balkone quellen über. Auf einem filmen Aktivisten. All das in einer Atmosphäre irrer Freude, elektrisiert, die Leute stehen unter Hochspannung, ein Maß an fröhlicher und verzweifelter Energie, wie ich es noch nie gesehen habe.
     
    Dieser Freitag ist den »politischen Gefangenen« gewidmet.
     
    Zufallstreffen mit G., einem sympathischen Franko-Syrer, der aus Inschaat stammt, aber 15 Jahre in Montpellier gelebt hat. Er fährt in zwei, drei Tagen, seine Frau kann nicht mehr. »Wenn sie nicht auf die Demonstranten schießen würden, wäre ganz Homs auf der Straße.« Er erklärt mir, dass der Anführer der Demonstration ein Student ist, Ingenieursstudium im dritten Jahr.
     
    Der Trommler der Demonstration ist ein Zigeuner. Hier wie anderswo sind sie oft Musiker.
     
    Ich finde Raed auf der Straße wieder, er ist in eine Auseinandersetzung mit Abu Hanin verwickelt, einem der Leiter des Informationsbüros. Abu Hanin wirft uns vor, nicht mit ihm zusammenarbeiten zu wollen; Raed erklärt, dass wir unsere Arbeit mit der FSA beenden und ihn dann gerne besuchen kommen. G. mischt sich ein bisschen ein, übersetzt, kommentiert.
     
    Ende der Demonstration. Die Leute zerstreuen sich. Schüsse auf die Hauptstraße, gerade als wir gehen. Frauen rennen. Die Schüsse kommen von Osten, von einer Brücke, die ins

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