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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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alawitische Viertel führt. Die Straße trennt Baba Amr von Inschaat. Vor einem Monat war es sehr riskant, diese Straße zu überqueren. Aber seit die andere Straßensperre, im Westen, vor drei Wochen evakuiert wurde, ist es ruhiger geworden.
     
    *
     
    Nach der Demonstration fragen wir Imad, ob wir Abderrazzaq Tlass aufsuchen können, einen der militärischen Hauptführer von Homs. G., der Franko-Syrer, willigt ein, mein Dolmetscher zu sein. Wir finden Tlass bei sich zu Hause, auf Anhieb.
     
    14 Uhr. Abderrazzaq Tlass, Leiter des Militärrats von Baba Amr. Junger Mann, Bart, Trainingsanzug. Er empfängt uns in einem Zimmer im Erdgeschoss eines Gebäudes, mit Kalaschnikows in einer Ecke und einer Fahne der katiba al-Faruq an der Wand. Er will kein Interview geben: aus Prinzip, sie haben eigene Journalisten, das reicht. Er ist auch paranoid, weil seiner Meinung nach ausländische Journalisten seine Äußerungen in eine regimetreue Richtung entstellt haben. Raed versucht ihn zu überzeugen, ich führe mit Hilfe von G., der uns freundlicherweise begleitet hat, ebenfalls Argumente an. Tlass, höflich: »Wir sind skeptisch gegenüber Interviews. Die Lage ist angespannt. Wir trauen den ausländischen Journalisten nicht.« Er will nicht über militärische Dinge sprechen. »Ihre Anwesenheit hier bereitet uns Probleme.«
    Imad: »Sie haben eigene, interne Probleme, von denen sie nicht sprechen wollen.«
    Tlass: »Die Zeit, in der wir alles gezeigt haben, ist vorbei. Wenn Ihre Völker nicht vor elf Monaten verstanden haben, ist es jetzt auch zu spät.« Zum Schluss: » Bukra, inschaallah. « 33
     
    Lose Unterhaltung. Ich spreche Abderrazzaq Tlass noch einmal an: Wäre er zumindest einverstanden, von seinem persönlichen Werdegang zu erzählen? Ja, er willigt ein. Er ist 26 und kommt aus Rastan. Er war mulazim awwal in der 5. Division, Infanterie, stationiert in Deraa. Seine Kameraden haben sich an der Repression beteiligt, aber er hat sich geweigert und ist etwa Februar/März versetzt worden. Dann hat er angefangen, an den Demonstrationen teilzunehmen, in Zivil, wenn er Ausgang hatte. Er spricht von mehreren Massakern an Demonstranten, eines davon am 24. Februar in Sanzamin, bei dem er nicht anwesend war; ebenso bei einer Demonstration in Ankhal, Ende Februar, nach der er die Aufforderung erhielt, Blut für die Verwundeten zu spenden. Diese Demonstrationen wurden von der 9. Division, den militärischen mu kharabat und der Staatssicherheit niedergeschlagen. Abderrazzaq Tlass war sehr betroffen von all den Verwundeten, von den Schwierigkeiten, sie zu behandeln, von den Massakern. Er hat der Propaganda des Regimes nie geglaubt. »In ihrem Grundsatz sollte die Armee neutral sein. Sie sollte das Volk verteidigen, die Nation. Da unten haben wir das Gegenteil erlebt. Die Straßensperren schossen auf die Menschen. Deraa war verwüstet. Die Leute versuchten, die Armee zu überreden, sich ihnen gegen die mukhabarat anzuschließen. Aber es hat nicht funktioniert. Weil die Offiziere den Befehl gegeben haben anzugreifen. Sie sind Verbündete von Assad, vom Regime. Die Mehrheit waren Alawiten. Und was die Sunniten betrifft: Entweder sie gehorchen oder sie wandern ins Gefängnis.«
    Als er das erste Mal daran dachte, zu desertieren, wollte er es gemeinsam mit anderen tun. Zusammen mit anderen Offizieren versuchte er, die Meuterei zweier liwas und einer katiba 34 der 5., 9. und 15. Division zu organisieren. Aber am Ende bekamen die anderen Offiziere Angst vor der Luftwaffe und machten einen Rückzieher. Also ist er alleine gegangen, mit seiner Waffe. »Ich bin der erste Offizier, der aus der syrischen Armee desertiert ist. Viele Leute haben versucht, mich zu überreden, es nicht zu tun: ›Wie kannst du das machen, wie kannst du überhaupt nur auf die Idee kommen, zu desertieren?‹«
    »Ich bin im Juni desertiert, in Deraa. Ich habe es getan, damit ich nicht auf die Leute schießen muss, und ich habe sofort zu den Waffen gegriffen. Mir war klargeworden, dass man dieses Regime nicht ohne Waffen stürzen kann. Ich bin nach Rastan gekommen, wo die Armee angriff, und ich habe die katiba Khaled ibn Walid gegründet.« Tlass hat die katiba mit sieben Offizieren und um die vierzig Unteroffizieren gegründet. Als sie funktionsfähig war, hat er sie in die Hände der anderen Offiziere übergeben und ist um die zweite Juliwoche herum hierher nach Baba Amr gekommen, um die katiba al-Faruq aufzustellen. Im August war auch sie

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