Notizen aus Homs (German Edition)
geweigert, auf Zivilisten zu schießen, in Kfar Aaja, und man hat ihm eine Kugel in den Rücken gejagt. Er hat überlebt, aber er bleibt gelähmt. Fadi ist zwei Wochen später desertiert. Um seine Familie zu schützen, hat er seine Desertion nicht verkündet. Nur sein Bruder weiß davon; zuerst war er dagegen, aber er hat es schließlich akzeptiert. Ich frage: »Wie kommt es, dass die FSA dich aufgenommen und nicht für einen Spion oder Provokateur gehalten hat?« Er hatte schon einen Freund in der FSA, der sich für ihn verbürgt hat. » Now I am very happy, not like before. When you are in Army, if you know a big man, you live well. If you don’t, you are shit. « 37
Hier in Baba Amr gibt es fünf oder sechs Alawiten in der FSA. Er hat keine Probleme. » I never heard: We want to kill Alaoui. Only specific people who have comitted crimes. « 38 Einige Alawiten nehmen Frauen als Geiseln, und das macht ihn krank. Kürzlich hat die FSA einen Alawiten gefangen genommen, den er kannte; er hatte nichts Böses getan, also haben sie ihn laufen lassen. Sie haben zuerst versucht, ihn auszutauschen, aber die Gegenseite weigerte sich, da haben sie ihn trotzdem freigelassen: » I was very pleased to see this. « 39
Wir gehen. Die Kugeln fliegen weiter. Die Straße, auf der wir uns befinden, ist sicher, aber weiter hinten ist es ungeschützt.
*
Mit Imad Besuch eines Viertels neben den Bahngleisen, hinter der Hamsi-Moschee. Zahlreiche Gebäude zerstört. Wir steigen mit Bewohnern in den vierten Stock, in eine von Kugeln und 14,5-mm-BTR-Munition durchlöcherte Wohnung. Die Wände der Küche sind überall durchschossen. Der Besitzer, Abu Abdu, hat eine neue Wand hochgezogen, innen, um wieder ein Zimmer draus zu machen, aber sie haben sie erneut durchschossen. Einige Treffer haben sogar drei Wände durchschlagen und sind bei den Nachbarn gelandet. Abu Abdu hat Frau und Kinder zur Familie seiner Frau gebracht, aber dort sind schon zu viele andere Frauen, kein Platz, er kann dort nicht bleiben. Er hat vor, die Wand ein zweites Mal hochzuziehen und mit Sandsäcken zu verstärken, damit man dort wieder wohnen kann.
Durch die Löcher und ein Fenster sieht man den Posten, blaue Sandsäcke, die um einen Übergang über die erhöhten Bahngleise herum verteilt sind. Das ist die Straßensperre der Kreuzung von Kfar Aaja. Ein Pick-up fährt raus und entfernt sich. Ich fotografiere ihn diskret mit Zoom durch ein Granatloch. Auf dem Foto sieht man auch den Geschützturm eines Panzers, anscheinend mit blauer Plastikfolie bedeckt, die Kanone zeigt in unsere Richtung.
Mit Bewohnern auf der Straße. Verwüstetes Viertel, alle Häuser gegenüber der Straßensperre sind durchlöchert von Einschlägen großer Kaliber und Bomben. Man zeigt mir die Reste einer Granate, einer Art Streubombe ( cluster bomb ).
Sieben Tote unmittelbar im Viertel, sechzehn Personen verhaftet. Die Soldaten kommen von der Straßensperre, treten die Türen ein und verhaften die Leute. Wenig FSA hier, sie können sie nicht daran hindern.
Seit zwei Freitagen, also ungefähr seit dem 6. Januar, als die arabischen Beobachter nach Homs kamen, ist diese Ecke ruhig. Aber vor zwanzig Tagen hat es drei sehr mörderische Tage gegeben: am ersten Tag achtzehn Tote, am zweiten neun, am dritten sieben. Bei Schüssen auf die Beerdigungen wurden Menschen verwundet. Ein Mann zeigt mir die Narbe von der Kugel, die ihm durchs Bein geschossen wurde.
Zwei Soldaten der FSA kommen mit dem Motorrad an. Kürzlich Desertierte. Zeigen ihre Armeeausweise und posieren stolz, mit unmaskierten Gesichtern.
Die FSA kann hier schwer Fuß fassen, wegen der Hochhäuser [ der Universität ], die das Viertel überragen, und der Scharfschützen. Sie kommt nur dann in größerer Zahl, wenn es einen Kampf gibt. Die Hochhäuser sind uneinnehmbar, geschützt von BRDM und 200 Soldaten, die die Scharfschützen in den Stockwerken verteidigen.
Hamsi-Moschee. Ganz neu, noch nicht fertig gebaut und noch nicht geweiht. Durchsiebt von Kugeln, einigen Granaten, zerborstene Fenster. Blick durch sie hindurch auf die Hochhäuser. Wir betreten die Moschee heimlich von hinten, unter den Augen der potenziellen Scharfschützen, eine etwas ungemütliche Situation. Aber nichts passiert. Das Innere ist geräumig und kahl, fast fertig, aber nicht ganz. Wir treten auf Glasscherben. Wir steigen aufs Dach, das die Kuppel umgibt: Wir gehen nicht auf die Seite der Hochhäuser, man muss das Schicksal ja nicht
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