Notizen aus Homs (German Edition)
Vierteln) auch immer noch. Aber in Baba Amr gibt es keine staatliche Verteilung mehr. Die Privaten holen die Flaschen auf eigenes Risiko. Deshalb variiert der Preis in Baba Amr zwischen 500 und 900 SYP pro Flasche [ 5,60 bis 10 Euro ].
Ein Mann namens Abdelkafi L., ein Freund von Imad, ist kürzlich wegen Gas gestorben. Er ist vor zehn Tagen losgefahren, um in einer Grenzzone zwischen regimetreuen und regimefeindlichen Vierteln welches zu holen und es weiterzuverkaufen. Der Gaspreis dort ist höher als der offizielle Preis, aber niedriger als in Baba Amr, so dass er Gewinn gemacht hätte. Sie waren zu zweit im Auto, einem Suzuki-Kleintransporter, aber in diesen Zonen wird geschossen: Abdelkafi wurde am Bein verletzt und verhaftet; sein Freund konnte fliehen. Abdelkafi wurde ins Militärkrankenhaus gebracht – die FSA hat diese Information von sympathisierenden Krankenpflegern, die sie losgeschickt hat, Erkundigungen einzuholen. Vor drei Tagen wurde ihnen seine Leiche übergeben, mit Folterspuren überall, von Elektroschocks etc. Vermutlich wurde er im Militärkrankenhaus getötet. Der Fall ist dokumentiert, die Leiche wurde auf Aljazeera gezeigt.
Wenn jemand entführt oder verhaftet wird, zahlen sie, um zu erfahren, wo er ist, und manchmal, um seine Leiche ausgehändigt zu bekommen.
*
Rückkehr zur ersten Klinik. Man lässt uns nicht hinein. Raed und Abu Bari, der dicke bärtige arrogante Pseudo-Mudschaheddin, brüllen sich an. »Auf Abderrazzaq Tlass kann ich so was von scheißen! (Gestern hatte er noch das Gegenteil gesagt.) Er ist Soldat, wir sind Zivilisten. Ich bin so wütend, ich hasse die ganze Welt!« Imad weiß nicht, wer ihn zum Verantwortlichen ernannt hat. Er ist ein ehemaliger Stukkateur, ohne jede medizinische Ausbildung.
Imad hat die zweite Klinik, die wir gesehen haben, gegründet, in einer Wohnung, weil er genug davon hatte, wie die erste Klinik geführt wurde. Er will eine Klinik, die von Ärzten geleitet wird.
Wir erfahren, dass Abu Bari die erste Klinik gegründet hat und dass er es ist, der die Ärzte angeworben hat. Deshalb hat er das Sagen in der Einrichtung.
*
17.30 Uhr. Nach der Abenddemonstration werden wir vom Militärrat einbestellt. Die Typen, die uns abholen sollen, sind nervös und die Spannung steigt schnell. Raed hat Angst, dass sie ihm seine Fotos löschen. Ich schicke vorsichtshalber eine SMS an Le Monde , um Bescheid zu sagen. Aber es stellt sich als sehr herzliche Kontaktaufnahme heraus, in einem Saal hinten in einer Schule. Ungefähr fünfzehn Männer sitzen ringsum an den Wänden; ein Offizier, mit dem Raed schon während der Mittagsdemonstration gesprochen hat, leitet die Diskussion. Er heißt Muhannad al-Omar. Ein ruhiger, ernster, intelligenter Mann. Imad setzt ihn über das Problem mit der Klinik von Abu Bari ins Bild, und Muhannad sagt, er werde das regeln. Dann stellt er eine erste Frage: Was denkt die französische Regierung über den Tod von Gilles Jacquier? Wir erzählen von den Verlautbarungen von Juppé, die dem Regime gegenüber eher misstrauisch sind. Dann fragen wir nach ihrer Meinung. Es waren die mukhabarat , antworten sie. Aber sie glauben nicht, dass er die Journalisten im Visier hatte: Ihrer Meinung nach sollte es die Assad-treue Demonstration treffen, damit die Journalisten das Massaker filmen und so die offizielle Terrorismusthese bestätigen.
Dann erbittet Raed eine konkrete Erlaubnis: freien Zugang zur Klinik von Abu Bari und zu den Gefangenen.
Der verwundete Soldat sei ein Unteroffizier der mukhabarat . Sie erlauben uns, ihn zu sehen, und zwar allein, damit wir uns überzeugen können, dass er keinerlei Druck ausgesetzt ist.
Muhannad al-Omar ist ein Zivilist, der sich der FSA angeschlossen hat. Er nimmt an den militärischen Aktionen teil und leistet logistische Unterstützung. Er ist Mitglied des madschlis askari , des Militärrats. Wenige Zivilisten sind in dem Rat, nur 3 der insgesamt 24 Mitglieder. Der Rat leitet die gesamte katiba al-Faruq, im gesamten Operationsgebiet, Homs, Qusair etc. Muhannad will nicht verraten, wie viele Männer es sind. Er wird bereits von den mukhabarat gesucht, deshalb hat er nichts dagegen, dass wir seinen Namen notieren und veröffentlichen. Wieder beeindruckt mich seine ruhige, vernünftige, einsichtige, bedächtige Art.
*
Rückkehr mit Imad im Auto zur Wohnung von Hassans Leuten. An einer Kreuzung starkes Beschleunigen wegen der Scharfschützen.
21.45 Uhr. Vor sieben
Weitere Kostenlose Bücher