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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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wird.
    Al-Muthanna, ein Apotheker, kennt Raed von seinem letzten Besuch. [ Er betont, wie alle seine Kollegen, welche Risiken das Pflegepersonal eingeht. ] »Es ist sehr gefährlich, Arzt oder Apotheker aus Baba Amr zu sein. Wenn wir das Viertel verlassen, können sie uns verhaften und drei bis sechs Monate festhalten, nur um uns an unserer Arbeit zu hindern.« Drei Ärzte aus Baba Amr wurden verhaftet, außerdem zwei Apotheker und einige Krankenpfleger. Die meisten sind wieder freigelassen worden. Einer der Apotheker, Dschamal F., wurde vor vier Monaten in der Haft getötet.
    Gestikuliert: »Sie schauen sich deine Papiere an und sehen: Baba Amr, und dann verhaften sie dich.« Al-Muthanna hat das Viertel seit sechs Monaten nicht mehr verlassen.
     
    Abu Ibrahim tritt ein, ein Krankenpfleger, der im September eingesperrt wurde. Er arbeitete im staatlichen Krankenhaus. Denunziert, weil er Revolutionäre behandelt hatte, und verhaftet. Stellt die Szene mit großen Gesten pantomimisch dar und erzählt: mit Stöcken geschlagen, verbundene Augen, »Du, komm hierher!«, Ohrfeigen. Er ist mit einem dicken Kautschukkabel ausgepeitscht worden und hat Stromschläge bekommen. Er zeigt uns die Narben von den Schlägen an den Beinen. Die Wunden haben sich entzündet, weil es keinerlei Hygiene gab, keine Dusche.
    Er ist von der Armee verhaftet worden, wo er danach hingebracht worden ist, weiß er nicht, weil man ihm die Augen verbunden hatte. (Hat Angst, dass man ihn identifizieren könnte, will keine Details preisgeben.)
    Sagt aber, dass er relativ okay behandelt wurde. Er hat eine Vorzugsbehandlung bekommen, weil er Krankenpfleger ist: Sie haben ihm nicht die Knochen gebrochen. Danach konnte er andere Gefangene versorgen.
    Detail zu den Folterungen: Am ersten Tag wurde er neun Stunden lang misshandelt. Dann nach vier Tagen erneut misshandelt. Das liegt an der Rotation der Vernehmer. Er wurde in zwölf Tagen drei Mal verhört, jedes Mal misshandelt. An einem Handgelenk an die Wand gehängt, an einer Plastikkordel, auf Zehenspitzen, vier bis fünf Stunden lang: asch-schabah , eine besondere Methode. Er macht die Position vor.
    Einen Monat ist er im Gefängnis geblieben. Freigelassen, weil sie nichts gefunden haben und ihm nichts nachweisen konnten; er hat alles geleugnet, und sie haben ihn schließlich laufen lassen.
     
    Zwei andere Männer im Zimmer. Abu Abdallah, ein Militärarzt, der seit Ende Dezember nicht an seine Arbeit zurückgekehrt ist, und Abu Salim, ein Arzt der militärischen mukhabarat , der seit November nicht zurückgekehrt ist. Abu Salim leitet diese Klinik. Er versteht sich als Deserteur, aber er hat es nicht verkündet. Er wurde hier geboren, seine Freunde sind hier. Als er sah, wie das Viertel und die Gefangenen behandelt wurden, beschloss er, sich den Leuten anzuschließen und mit ihnen zu leben oder zu sterben.
    Er hat in Damaskus gearbeitet, an fünf verschiedenen Stellen, dann in Latakia. Seit zwei Jahren ist er bei den mukhabarat und hat gesehen, wie sich die Situation vor und nach der Revolution entwickelt hat. Er kann die Folterungen bezeugen.
    »Was ist die Aufgabe eines Arztes bei den mukhabarat ? Ich werde es Ihnen erklären.
    Seine erste Aufgabe: Die Gefolterten am Leben erhalten, damit sie so lange wie möglich gefoltert werden können.
    Die zweite Aufgabe: Falls die gefolterte Person das Bewusstsein verliert, ihr Erste Hilfe leisten, damit das Verhör fortgesetzt werden kann.
    Die dritte Aufgabe: Die Verabreichung psychotroper Substanzen während des Verhörs überwachen. Chlorpromazin, Diazepam oder Valium, Ketamin oder Katalar und 90-prozentiger Alkohol, ein Liter in die Nase oder in die Augen oder subkutan injiziert – Alkohol wird zum Aufwecken, aber auch zum Foltern verwendet.
    Die vierte Aufgabe: Wenn die Widerstandsschwelle der gefolterten Person überschritten ist, bringt der Arzt sie ins Militärkrankenhaus. Vor der Revolution wurden dem Patienten die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt; seit der Revolution werden dem Patienten die Augen verbunden und er wird an den Arzt gefesselt. Vorher wurden alle Patienten in Lebensgefahr behandelt; jetzt werden nur die wichtigen Gefangenen behandelt; die anderen lässt man sterben. Die Entscheidung liegt nicht beim Arzt: Wenn er sieht, dass der Patient in Lebensgefahr schwebt, schickt er einen Bericht zum Verantwortlichen, der entscheidet und die Bewilligung für die Verlegung unterzeichnet.
    Im Krankenhaus darf der behandelnde Arzt den

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