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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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kenne, kommt und füllt die Munition auf. Er holt die Patronen aus einem Jutesack und füllt im Knien auf einem Teppich sein Magazin wieder auf. Schwarze Mütze, kleiner Schnurrbart, schwarze Patronenweste über dem Anorak.
     
    Wir sind um 15 Uhr nach Hause gekommen, das Ganze hat ungefähr vier Stunden gedauert. Gegen 16.30 Uhr bringt Imad schließlich sfihas und Joghurt. Ibn Pedro ist da, Ahmad auch, andere junge Leute, alle essen mit Appetit. Irgendwann eine schwere Detonation, nicht weit entfernt. Hassan telefoniert: Einer seiner Leute hat eine RPG abgeschossen, um einen Scharfschützen zu vertreiben.
     
    Dieses sehr seltsame Gefühl der Distanz während des Kampfs. Der Höllenlärm der Schüsse geht an die Nerven, auch wenn es ungefährliche Schüsse der eigenen Leute sind. Auf der anderen Seite erinnern die Angriffe an Knallfrösche, ein Kinderspiel, zum Lachen. Man versucht, in Deckung zu bleiben, aber es gibt überall Öffnungen, Schussachsen, man hat keine realistische Vorstellung davon, was safe ist und was nicht. Man fragt und muss den Antworten blind vertrauen. All das bleibt sagenhaft abstrakt, selbst wenn die Typen von gegenüber auf dich schießen. Erst in dem Moment, vermute ich, in dem man angeschossen wird, wird es plötzlich und unwiderruflich konkret. Aber solange nichts ist, bleibt es seltsam irreal, als wäre man in einem Traum, als würde alles, was passiert, jemand anderem passieren, nicht einem selbst.
     
    Rückkehr von Abu Jazan, der erschöpft aussieht, Verband um die Stirn. Es ist nicht allzu ernst.
     
    17 Uhr, Imad fährt zur Familie des Verletzten und weigert sich kategorisch, uns mitzunehmen. Ibn Pedro fängt an, Raed wegen der Fotos seiner letzten Reise auf die Nerven zu gehen, er sagt, dass jemand seinetwegen Probleme bekommen habe, was lächerlich ist, wenn man bedenkt, was Raed für Vorsichtsmaßnahmen trifft. Er zeigt ihnen die PDFs, und die Lage scheint sich zu beruhigen. Aber Ibn Pedro bleibt aufgebracht, er wirkt nicht überzeugt.
    Raed: »Manchmal hast du Glück, dass du kein Arabisch verstehst. Das Mindeste, was ich sagen kann, ist, dass es nicht sehr cool war. Vor allen Leuten so was zu sagen, einfach so, ist ein bisschen mies.«
     
    In einer Ecke füllt der junge Maschinengewehrschütze von heute Morgen Gürtel mit Patronen, die er aus einem großen Sack voller Munition zieht. Ein paar andere helfen mit.
     
    Ich fahre mit Alaa ein paar Besorgungen machen. Die Straßen sind aufgeweicht, die Pfützen glitzern im Scheinwerferlicht. Die Soldaten an den Checkpoints sehen aus wie Phantome, statt mit Taschenlampen leuchten sie mit einem Handy.
    Ich kaufe Aleppo-Seife in der Nähe der Moschee. Auf dem Rückweg tadeln mich die Männer: »Du bist auf der Seite der Leute von Aleppo, du bist auf der Seite von Baschar! Du kaufst Aleppo-Seife, du bist ein Verräter!«
     
    *
     
    19.30 Uhr. Unmöglich, Abu Salim zu erreichen oder zu finden, den Arzt der mukhabarat , den wir noch einmal sehen wollten.
     
    Gegen 23 Uhr bringt uns ein junger Soldat, der sich »Der Kater« nennt, zu Fuß zu anderen Aktivisten, weil es dort Internet gibt. Diese sind entschieden gegen die Ausrufung des Dschihad: »Unsere Revolution ist keine religiöse Revolution, es ist eine Revolution für die Freiheit. Den Dschihad auszurufen würde die Reichweite der Botschaft der syrischen Revolution völlig verändern. Ja, es haben Leute auf der Demonstration Parolen gesungen. Aber das sind einfache Leute, die verstehen das nicht.«
    Unser Gastgeber, Abu Adnan, ist ein kommunistischer Anwalt, der die politischen Gefangenen verteidigt. Schlägt vor, uns in den Justizpalast mitzunehmen, damit wir sehen können, wie das abläuft. »Mit Geld ist alles möglich.« Es ist auch ein Kameramann da, Abu Jazan al-Homsi, der Aljazeera und anderen Fernsehsendern viele Bilder liefert.
     
    Beim Essen schenkt uns Abu Adnan »Whisky« ein, ein lokales Produkt, das ein wenig sirupartig schmeckt, und schärft uns ein, außerhalb dieses Zimmers nicht darüber zu sprechen. Er fragt uns, ob wir an Karl Marx glauben. Er glaubt an Karl Marx wie andere an Jesus oder Mohammed, zumindest sagt er das. Sein Vater, von dem ein sehr förmliches Porträt an der Wand hängt, war auch Kommunist. Der Apotheker Abdelkader korrigiert seine Äußerungen: » Din, din. Fikr, fikr. « Die Religion ist die Religion. Das Denken ist das Denken.
     
    Etwas vorher hatte Abu Jazan al-Homsi Raed erklärt, dass er sich als Aktivist versteht, nicht als

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