Notizen aus Homs (German Edition)
Zitadelle. Es sind noch sieben Pfleger und Schwestern, ein Notarzt, zwei Gynäkologen und ein Anästhesist da.
Sie nehmen keine Patienten mehr auf oder können sie jedenfalls nicht mehr dabehalten, weil sie Angst haben, dass sie von den Schüssen verletzt werden. Nehmen nur noch Notfälle auf und behalten die Leute maximal einen Tag da. Die Betten sind leer, erklären uns die Schwestern, verschleiert, aber mit freiem Gesicht. Einer der jungen Aktivisten filmt uns die ganze Zeit, während wir uns unterhalten, das nervt ein bisschen, aber er sagt, es sei nur für ihn.
Das Krankenhaus kann keine Sandsäcke gegen die Schüsse aufschichten, weil die Sicherheit regelmäßig vorbeikommt. Wenn sie Sandsäcke sehen würden, würden sie das Personal beschuldigen, Aktivisten oder Soldaten zu behandeln. Die Sicherheit war schon acht Mal da, das letzte Mal vor 15 Tagen. Vor drei Monaten haben sie einen Mitarbeiter verhaftet, der Blutanalysen machte, sie haben ihn beschuldigt, Analysen für die FSA-Soldaten durchzuführen. Er hat geleugnet, aber sie haben ihn einen Monat in Haft behalten, haben ihn mit Stromschlägen gefoltert und ihn dabei mit Wasser übergossen. Als er entlassen wurde, hat er das Land verlassen und ist nach Jordanien geflohen.
Keiner der Ärzte oder Hilfspfleger kann mehr im Krankenhaus arbeiten. Sie haben eine Erklärung unterzeichnen müssen, dass sie niemanden mehr behandeln.
Man hört einen lauten Einschlag. Die Zitadelle, die auf das Krankenhaus schießt. Alle lachen.
Seit sich vor zwanzig Tagen die FSA im Viertel eingerichtet hat, kann man Kranke und Verwundete ins Krankenhaus bringen. Die FSA bringt Blut und Ärzte her, wenn das nötig ist. Aber sie haben Angst vor einer richtigen militärischen Operation mit Panzerfahrzeugen; die würde die FSA nicht überstehen.
Große Versorgungsprobleme. Außerdem Probleme, spezialisierte Ärzte zu holen, wegen der Straßensperren. Letzten Samstag haben sie einen Mann mit offenem Bauch aufgenommen. Ein Chirurg hat es geschafft, ihn zu operieren, die Kugeln zu entfernen, aber sie brauchten einen zweiten Spezialisten, um die Operation zu beenden. Er musste aus einem anderen Viertel kommen, doch Bab Sbaa war von der Sicherheit abgeriegelt, unmöglich, ihn hereinzuholen. Sie haben versucht, den Patienten im Krankenwagen in eine andere Klinik zu bringen, auch unmöglich. Schließlich ist er gestorben.
Beim Rausgehen Menschenauflauf um den Laster, der das Heizöl verteilt. Die Männer drängeln sich im starken Regen um den Kleintransporter und brüllen sich an. Aber viele lachen auch, man weiß nicht genau, wie ernst es gemeint ist. Die Schlange scheint relativ geordnet zu sein. Omar, gefilmt von einem anderen Aktivisten, hält den Wartenden im Regen eine kurze Rede.
Wir hatten zu dem Zeitpunkt immer noch den ganzen Tag nichts gegessen und großen Hunger. Auf der Hauptstraße, in der Nähe des Krankenhauses, verkaufte ein kleines Geschäft schisch tauk , Hähnchenspieße, schon fertig. Aber nach einer Diskussion mit Omar erklärte uns der Verkäufer, dass sie bereits alle vorbestellt seien, und Omar bestand darauf, dass wir bei ihm und seiner Verlobten essen. »Es ist alles fertig«, versprach er uns.
Warten bei Omars Verlobter [ die die ganze Zeit in der Küche bleiben wird, wir bekommen sie nicht zu Gesicht ]. Omar wird gesucht, auf seinen Kopf sind zwei Millionen ausgesetzt. Ich: »Zwei Millionen Dollar oder Lira?« – »Lira.« – »So gut wie gar nichts also.« Lachen. Die fünf Brüder und der Vater von Omar werden auch gesucht. Neun Mal ist die Sicherheit bei ihm vorbeigekommen, sie haben alles kurz und klein geschlagen, die Wohnung ist leer. Vorher hatte er ein Geschäft, er verkaufte Klimageräte. Auch sein Geschäft hat man ihm völlig zertrümmert. Er ist 24 oder 25.
Ein Junge gesellt sich zu uns, Mohammad, der Bruder von Omars Verlobter. Er ist 14. Sein Bruder Ijad, 24 Jahre alt, wurde letzte Woche getötet. Drei Kugeln: Er zeigt uns die Stellen, Rippen, Schulter und Bein. Er ging mit seiner Familie in der Nähe des Friedhofs, die Armee rückte vor, um ins Viertel einzumarschieren, und fing an zu schießen. Mohammad war dort, mit seinen Eltern und seiner Schwester. Ein Freund von Ijad wurde auch verwundet. Es gab dort keine FSA, keinen Widerstand, die Soldaten haben nur so geschossen. Ijad war nicht sofort tot, seine Familie hat ihn hochgehoben und ist mit ihm weggerannt; sie konnten ihn bis zum Krankenhaus weiter unten tragen, aber
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