Notizen aus Homs (German Edition)
haben seine Meinung verändert.
Sonntag, 29. Januar
Bajada
Sonniger Morgen. Seit einigen Tagen keine Träume mehr. Der Husten scheint sich ein wenig beruhigt zu haben nach einer Kortisonspritze, die mir gestern Abend Abu Hamzeh, der Arzt, gegeben hat.
Abu Hamzeh war einer der zahlreichen Gäste von Abu Brahim, dem wir keine große Aufmerksamkeit schenkten, bis zu dem Moment, in dem Raed Abu Brahim fragte, ob er Leute kenne, die Zeugen von Folterungen geworden seien. »Er«, hatte unser Gastgeber gesagt und auf den Arzt gezeigt. Dieser arbeitet in der kleinen Untergrund-Krankenstation im Erdgeschoss von Abu Brahims Haus. Ohne Material und Ausrüstung kann er so gut wie nichts tun für seine Patienten; aus Frust spielt er mit dem Gedanken, die Medizin aufzugeben und zu den Waffen zu greifen. »Nachts«, hat er mir erzählt, »verbringe ich Stunden damit, mir vorzustellen, wie ich mich mit einem Gewehr in einem Hinterhalt verstecke und einen der Scharfschützen erschieße.« Er war einverstanden, dass ich seine Zeugenaussage aufzeichne, die er mir halb auf Englisch, halb auf Arabisch, übersetzt von Raed, gab. Ich transkribiere hier das Interview nach den Notizen in meinem Heft und nicht nach der Aufnahme.
Interview mit Abu Hamzeh. Chirurg, arbeitete seit 2010 im Militärkrankenhaus. Er wollte eine neue Spezialisierung erlangen, das ist normal für einen zivilen Arzt. Das Militärkrankenhaus behandelte auch Zivilisten: entweder Notfälle oder Familienmitglieder von Militärs. Die Probleme haben mit der Revolution angefangen.
Zuerst hörte er von seltsamen Dingen, die sich in der Notaufnahme abspielten. Wenn verwundete Demonstranten eingeliefert wurden, fesselte man diese und verband ihnen die Augen. Abu Hamzeh wollte das mit eigenen Augen sehen und ging hin: Es war wahr. Das erste Mal, dass er das sah, war im April. Militärpolizisten brachten zusammen mit Krankenpflegern Demonstranten in einen anderen Raum. Neben der Notaufnahme gibt es drei Räume: eine Apotheke, einen Röntgenraum und eine Intensivstation. Dort wurden die Verletzten, ohne behandelt worden zu sein, von diesen Militärpolizisten und Krankenpflegern mit Kabeln geschlagen. Die Opfer waren alle Männer, manchmal Jungen von 14, 15 Jahren, aber nicht jünger. Dann wurden sie ins Gefängnis überstellt, unbehandelt. Mehrere Ärzte, deren Namen er aufgeschrieben hat, haben sich an diesen Misshandlungen beteiligt.
Abu Hamzeh hat mir einige dieser Namen genannt: Da ich die Information nicht überprüfen kann, veröffentliche ich sie nicht.
Als der Chefarzt des Krankenhauses – ein Alawit aus Tartus, ein sehr guter Mann – davon hörte, befahl er, dass die Patienten nicht mehr geschlagen werden und dass sie behandelt werden. Das war vielleicht zwanzig Tage nach Beginn der Misshandlungen. Das Ergebnis war, dass man sie behandelte und dann nachts kam und sie in ihren Betten schlug.
»Eines Tages habe ich einen Patienten in der Notaufnahme behandelt. Am nächsten Tag hat man ihn in den Röntgenraum gebracht, mit einem Schädeltrauma, das er am Vortag noch nicht gehabt hatte. So habe ich entdeckt, dass man ihm in der Nacht etwas angetan hatte. Ich habe einen Freund, einen Röntgenarzt, nach den Details des Falls gefragt, und er sagte mir: ›Er hat eine Schädelfraktur und ein Trauma, er ist jetzt auf der Intensivstation.‹ Zwei Tage später ist der Patient an dem Schädeltrauma gestorben. Er wäre nicht an den Verletzungen gestorben, die ich am ersten Tag behandelt hatte. Er ist an der Folter gestorben.«
Es gab einen Raum, in dem man die Patienten nach ihrer Behandlung zur Beobachtung dabehalten konnte. Man brachte dort die Demonstranten hin, ans Bett gefesselt, mit verbundenen Augen, und man blockierte die Katheter, durch die sie urinierten; man gab ihnen nur einen Viertelliter Wasser für sechs Personen, jeden zweiten Tag, nur ein paar Tropfen, um sie am Leben zu erhalten.
Als Abu Hamzeh den Raum betrat, flehten die Leute ihn um Wasser an. Der blockierte Katheter verursachte Schädigungen an den Nieren. »Ich habe zwei Personen deswegen ins Koma fallen sehen. Einer von ihnen ist gestorben. Also habe ich mir eine kleine Kamera in die Tasche gesteckt und habe sie gefilmt. Ich bin in den Raum gegangen, um die Patienten zu behandeln. Ich hatte eine Krankenschwester dabei, eine Sympathisantin, die mir geholfen hat. Es gab keine Antibiotika, kein Serum, keine Medikamente. Ich habe versucht, die Katheter zu lösen, aber die
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