Notizen einer Verlorenen
hast also doch das Gefühl, etwas Strafbares zu tun!«, warf ich ein, während ich mir die kalten gelben Dinger über die Finger zog.
»Sarah! Mach es einfach!«
Ich zuckte zusammen und beobachtete beklommen, wie er sich an das Abgasrohr im Kleiderschrank heranmachte. Schließlich schmierte ich zwei, drei Stellen am Fenster über der Kochnische mit Silikon zu. Es war ja eigentlich nicht viel, was ich dazu beitrug. Nur ein bisschen gallertartige Masse auf ein paar Löcher quetschen und verschmieren. Das war alles. Konnte man das schon Mord nennen? Mord war sowieso nicht das richtige Wort – Beihilfe zum Selbstmord, würden sie es wohl nennen … falls es herauskäme …
Marc stieg auch noch mit einem Bein auf die Spüle und hangelte sich an die Dachluke.
»Wenn du da was abdichtest, könnte man das aber kaum Leo andichten!«, bemerkte ich.
Er hantierte ein bisschen und sprang dann wieder herunter.
»Die Luke ist ewig nicht mehr benutzt worden und komplett verklemmt.«
Eilig nahm er mir das Silikon aus der Hand und verstaute es wieder in seinem Rucksack. Bevor ich hinter ihm den Wohnwagen verließ, fiel mein Blick noch einmal auf die beiden bezogenen Betten und in Gedanken sah ich die beiden alten Leute dort schlafend, Hand in Hand …
Ich sprang hinter Marc aus der Tür und wunderte mich, wieso er eine Plastiktüte mit dem vermoderten Laub des Kirschbaumes füllte. Dann kletterte er mit der Tüte den Stamm hinauf und schüttete das halb kompostierte Zeug über der Dachluke aus.
Mit ausgestrecktem Arm hielt er mir die Tüte entgegen. »Fülle sie auf.«
»Wozu?«
»Die Luke muss dicht sein, sonst wird das nichts. Einen Teil hat die Natur schon von sich aus darauf ausgebreitet.«
Zwölf Mal füllte ich den Plastikbeutel mit Kirschbaumlaub auf, das ich mit meinen behandschuhten Händen vom Boden aufsammelte. Zum Schluss verteilte Marc einiges davon, wie zufällig darauf gefallen, über das gesamte Dach des Wagens.
»Das sollte wohl reichen«, meinte er, als er herabgeklettert war. »Sie müssen nur noch das Gas so weit wie möglich aufdrehen und lange genug liegen bleiben. Den Rest erledigt Leos gebastelte Heizung.«
»Und das Abgasrohr, das du durchstochen hast?«
Marc antwortete nicht darauf. »Komm – lass uns hier verschwinden!«, sagte er stattdessen.
Wir huschten über den kahlen, halbgefrorenen Rasen zurück zum Zaun. Verstohlen sah ich zum Fenster des Wohnhauses. Die Rollläden waren noch immer heruntergelassen.
Wir nahmen nicht denselben Weg zurück, den wir gekommen waren, sondern liefen absichtlich in entgegengesetzter Richtung und machten einen großen Umweg, um mögliche Zeugen unseres Einbruchs auf eine falsche Fährte zu locken. Erst als wir ganz sicher waren, dass uns niemand gefolgt war, zogen wir uns die Mützen von den verschwitzten Köpfen. Der Wind schnitt noch immer eisig in unser Gesicht. Trotzdem lief mir der Schweiß zwischen den Brüsten entlang. Vor der Einbiegung zu meiner Straße blieben wir stehen, um uns zu trennen.
»Nun haben wir es getan«, sagte ich leise.
»Ja.«
»Und du meinst, diese einfachen Maßnahmen können ihren Tod verursachen?«
»Ganz sicher.«
»Werden sie auch bestimmt nicht leiden?«
»Sie werden es gar nicht merken«, seufzte Marc.
»Ich fühle mich schäbig, ganz ehrlich. Es war, glaube ich, nicht richtig, was wir getan haben.«
Marc senkte kurz die Augen. »Die beiden können noch immer selbst entscheiden, ob sie die Heizung aufdrehen oder nicht …«
»Marc! Mach dir nichts vor! Wir haben uns strafbar gemacht, nicht nur nach dem Gesetz, sondern auch moralisch!«
»Vorgestern waren wir uns noch alle einig, dass es moralisch richtiger sei, ihnen zu helfen.« Er wackelte nervös mit dem herabhängenden Gurt seines Rucksacks. »… Vielleicht tun sie es ja nicht …«
»Hoffen wir das …«, sagte ich, »… ich würde mich weitaus wohler fühlen.«
Ich ging heim und zwang meinem widerstrebenden Geist den Gedanken auf, den alten Leuten etwas Gutes getan zu haben.
Im Haus war man indes sehr zufrieden mit uns. Nach ein paar Tagen vergaß ich die beiden.
Kevin und seine Freunde
Am 20. November fuhren wir ein zweites Mal zu dem abgeschiedenen Waldstück, von dem aus wir Kevin und seine Freunde bei ihrem Fall ohne Fallschirm beobachten sollten. Die Stimmung im Wagen war eher missmutig, denn auch heute sah das Wetter nicht eben beständig aus.
Wir speisten, wie damals, in dem Bauernhof am Waldrand und zur vereinbarten Zeit standen wir an der
Weitere Kostenlose Bücher