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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Seifert , Christian
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fatalere Folgen haben oft Brände im Erdgeschoss, weil da sehr schnell das ganze Treppenhaus vom Erdgeschoss bis zum Dach verraucht ist. Es hat schon einfache Zimmerbrände gegeben, nach denen hinterher ein mehrstöckiges Mietshaus über Wochen nicht mehr bewohnbar war – nur weil die Bewohner auf der Flucht fatalerweise die Wohnungstür hatten offen stehen lassen.
    Die ersten Rückmeldungen klangen allesamt bedrohlich: »Wohnung im fünften Stock in Vollbrand.«
    »Meterhohe Flammen, die über die Fassade auf die darüberliegenden Wohnungen überzuschlagen drohen.«
    »Große Teile der Fassade wurden herausgerissen.«
    Mehrere Nachbarn wurden unter Fluchthauben aus dem Haus geführt. Ein Mann, eine Frau und ein mutiger Polizist, der in der Nachbarschaft wohnte und sofort in das Hochhaus gelaufen war, hatten Rauchvergiftungen erlitten und wurden bereits medizinisch versorgt. Der Polizist war ganz allein in den fünften Stock gerannt. Die Explosion hatte die Tür der Brandwohnung herausgesprengt. Er rannte daran vorbei. Nebenan fand er eine völlig verstörte Nachbarin, die er mit sanfter Gewalt die Treppen hinunter aus dem Haus brachte. Dann rannte er zurück in den sechsten Stock, musste jedoch umkehren. Zu viel Rauch. Im vierten Stock fand er einen älteren Herrn mit Kniearthrose, der keine Treppen laufen konnte. Er schob ihn auf einen Balkon, auf dem er gefahrlos auf uns warten konnte.
    Als unsere ersten Löschfahrzeuge eintrafen, waren etwa 25 Bewohner schon allein aus dem Haus geflohen und wurden für die Dauer der Löscharbeiten in unserem nachalarmierten Großraumrettungswagen betreut. Von der Polizei bekamen wir eine Liste der dort gemeldeten Bewohner für den späteren Abgleich der Verletzten und Betroffenen. Eine Frau fehlte. Wo war die junge Mieterin der brennenden Wohnung? Die Studentin (24) war bei Brandausbruch daheim gewesen. Nachbarn hatten sie unmittelbar vor der gewaltigen Explosion laut schreien hören …
    Durch den Rauch und die enorme Hitze bahnten sich die Kollegen über das Treppenhaus ihren Weg zur Brandwohnung – unterstützt von den Kollegen, die von außen auf der Drehleiter versuchten, die bis hoch über das Dach lodernden Flammen niederzuhalten, um ein Übergreifen des Feuers auf die Wohnungen darüber zu verhindern. Bei Temperaturen von etwa 1000 Grad Celsius – so wurde es später rekonstruiert – war das 35 Quadratmeter große Einzimmerapartment komplett ausgebrannt. Ein bisschen Geschirr in verkohlten Schränken – recht viel mehr war von der Einrichtung nicht mehr übrig. In der Wohnung war die Hitze so enorm, dass sogar schon der Putz von den Mauern und der Decke abgebrannt war. Noch während der Löscharbeiten machten die Kollegen eine grauenhafte Entdeckung. Nahe der Fensterfront lagen zwei bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leichen sehr eng beieinander. Als ob sie sich im Tode noch aneinandergeklammert hätten. Doch die Kollegen sahen noch etwas anderes, das sie sich zunächst überhaupt nicht erklären konnten. Die Leichen waren irgendwie miteinander verbunden. Es waren Kettenglieder zu erkennen. Und: Es roch auffallend nach einem Brandbeschleuniger wie Benzin. Ein Unfall vielleicht? Oder schlimmer noch: Doppelselbstmord? Es war in jeder Hinsicht beängstigend. Irgendetwas in diesem Fall ging jedenfalls weit über die tragischen Umstände hinaus, unter denen Menschen für gewöhnlich bei Bränden ums Leben kommen.
    Die Nachlösch- und Aufräumarbeiten dauerten bis drei Uhr früh. Einige der insgesamt 54 Wohnungen in dem achtstöckigen Gebäude waren nicht mehr bewohnbar. Die Explosion hatte die Fassade über zwei Stockwerke herausgesprengt. Große Trümmerteile wie Heizkörper und Mauerstücke waren bis zu 30 Meter weit auf den schneebedeckten Rasen geschleudert worden. Im Baum daneben baumelten zwei PC-Lautsprecher. Was war da passiert? Alle Feuerwehrleute waren froh, diesen Ort bald der Spurensicherung und den Brandermittlern der Polizei überlassen zu können.
    An diesem Punkt ist unsere Arbeit in den meisten Fällen beendet und wir wenden uns anderen Themen zu. In diesem Fall jedoch war alles anders. Die Medien berichteten nämlich tagelang. Und bald zeichnete sich ein Beziehungsdrama der schlimmsten Art ab. Zwei Tage nach der Brandnacht trat die Polizei mit den neuesten Erkenntnissen vor die Presse. Und so erfuhren wir, was in jener Nacht tatsächlich geschehen war.
    Dort oben im fünften Stock hatte die Studentin Julia an jenem Märzabend mit ihrem Mörder gekämpft.

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