Nottingham Castle, letzte Tuer links
auf
Nottingham wuchs bei jedem Schritt, den sie auf seine Gemächer zumachte. Wie hatte
er so etwas tun können!
Vor
seiner Tür wurde sie durch den Soldaten mit der gebrochenen Nase aufgehalten. „Mein
Herr möchte nicht gestört werden”, sagte er und stellte sich ihr in den Weg.
Susannah
warf ihr Haar über die Schulter. „Er erwartet meinen Besuch”, log sie die Wache
an. „Wollt Ihr mich wirklich nicht zu ihm lassen? Soll ich ihm dann später
sagen, dass Ihr es wart, der mich nicht eingelassen hat? Ist Eure Nase schon so
gut verheilt?“
Ihre
Stimme war laut und energisch. Sie hatte in diesem Augenblick keinerlei
Skrupel, den Soldaten für ihre Zwecke zu missbrauchen.
Er zögerte einen Moment, dann trat er zur Seite und ließ sie passieren.
Susannah marschierte ins Zimmer hinein und knallte die Tür hinter sich zu.
Nottingham saß beim Essen. Vor ihm lag eine halbe gebratene Ente, das Fett
tropfte noch aus seinen Mundwinkeln, als er aufschaute. Sein Schwert steckte in
der Scheide und lag auf dem Tisch.
Er grinste Susannah, die vor dem Eichentisch wutschnaubend zum Stehen kam,
hämisch an.
„Hast
du Sehnsucht nach mir gehabt?“, fragte er sie und biss ungerührt ein weiteres Stück
Geflügel ab. Dann schickte er den Diener, der mit eingezogenem Kopf in einer
Ecke verharrt hatte, mit einer beiläufigen Handbewegung aus dem Zimmer.
Susannahs Wut wurde durch seine Gleichgültigkeit noch mehr angestachelt. „Wie
konntet Ihr das tun!”, schrie sie ihn an. „Erst lasst Ihr Euch von mir nach
allen Regeln der Kunst verwöhnen, Ihr befehlt mir sogar, mich für Euch bereit
zu halten und dann fallt Ihr gnadenlos über die arme Anne her!“
Er schenkte sich Wein in seinen Kelch und lächelte süffisant. „Sieh an, die
Hebamme ist ganz offensichtlich eifersüchtig!“
Ihr
blieb fast die Luft weg vor Wut. „Ihr seid ein gottloser Hund! Sie hat sich die
Pulsadern aufgeschnitten! Ein junges, unschuldiges Ding und sie will sich wegen
Euch das Leben nehmen! Um ein Haar hätte sie es geschafft!”
Er
zuckte nur mit den Schultern. Das machte Susannah endgültig rasend. Hitze stieg
in ihren Kopf. Wie konnte er nur so unbeteiligt dasitzen? Völlig von Sinnen
nahm sie die goldene Obstschale vom Tisch und schleuderte sie gegen die Wand.
„Ein
Unmensch seid Ihr, eine Bestie!”, brüllte sie ihn an. Äpfeln und Birnen rollten
über den Holzboden. Die Schale war von der Mauer abgeprallt und drehte sich nun
scheppernd im Kreis.
Susannah
blieb schwer atmend stehen. Langsam kam sie wieder zu sich. Was war nur in sie
gefahren? Er würde sie sicher in den Kerker werfen lassen!
Der Sheriff griff mit einer schnellen Bewegung zum Tisch und zog das Schwert
aus der Scheide. Instinktiv wich Susannah ein paar Schritte zurück. Ihr
Herzschlag setzte aus, sämtliche Muskeln verkrampften sich. Würde er sie gleich
hier an Ort und Stelle umbringen?
Nottingham
verzog keine Miene. Er holte mit dem Schwert aus, dann stach er es in einen
Apfel am Boden. Er führte das aufgespießte Obst zum Mund und biss krachend ein
Stück ab. Mit einem Blick auf die am Boden verstreuten Früchte sagte er zu ihr:
„Mir scheint, du hast bisher mehr von mir gelernt als ich von dir!“
Wieder
lachte er höhnisch. „Ich mag Frauen, die über Feuer verfügen. Die meisten sind
schrecklich öde und starr. Aber mit dir werde ich wahrlich noch auf meine
Kosten kommen.”
Er
wischte sich mit einem Tuch den Mund ab.
Dann
wurde er wieder ernst. Seine grünen Augen sahen sie gefährlich kalt an. „Du
glaubst doch wohl nicht ernsthaft, eine einzige Frau würde mir genügen?“, sagte
er und ließ den angebissenen Apfel symbolträchtig zu Boden fallen.
Susannah atmete tief ein und zwang sich zur Ruhe. „Und Eure Ehefrau, Milord?“,
erwiderte sie.
„Muss ich dir alles zweimal erklären? Lady Marian wird mir ihre Unschuld
schenken sowie einen Sohn. Und sie wird mir treu ergeben sein. Was ich sonst
treibe, geht weder sie noch dich etwas an.“
Susannah schluckte. So stellte er sich also seine Ehe vor? Sie konnte kaum glauben,
dass Marians Vater die Einwilligung dazu gab. Andererseits – in diesen Kreisen
ging es nicht um Zuneigung, sondern um Macht. Und Nottingham war als Günstling
von Sir John, dem Bruder des abwesenden Königs, eine hervorragende Partie.
Marians ganze Sippschaft konnte damit an den Hof aufrücken. Wer fragte da nach
den persönlichen Belangen einer unwichtigen Frau.
Der
Sheriff unterbrach ihre Gedanken, indem er aufstand, zwei Schritte
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