Nottingham Castle, letzte Tuer links
Gruß stieß er die Tür auf und verließ das Haus.
*
Susannah
blieb auf dem Bett sitzen, als er weg war. Sie musste nachdenken. Dringend.
Wirkte
ihr Plan tatsächlich? Verschaffte es ihm keine lustvollen Gefühle mehr, eine
Frau einfach so zu nehmen? Jedenfalls hatte er den Eindruck erweckt, als ob es
so wäre.
Sie
sollte sich freuen. Immerhin hatte sie ihr Ziel fast erreicht, sie hatte ihn
mit Dingen vertraut gemacht, die er nicht von jeder beliebigen Magd bekommen
würde, zumindest nicht so geschickt und überaus befriedigend. Manches konnte
man einfach nicht erzwingen und allein dies würde sicher eine äußerst harte
Lektion für den mächtigen Sheriff von Nottingham sein.
Doch
die große Freude mochte sich bei ihr nicht einstellen, zu sehr erschrocken war
sie über sich selbst. Denn sie hatte es nicht als abstoßend gefunden, ihn zu
berühren. Nein, es war sogar irgendwie – nun – angenehm gewesen, ihn stöhnen zu
hören, seine Erregung zu steuern, ihn zum Höhepunkt zu bringen.
Sie
zupfte am zerwühlten Bettlaken herum. Seufzte.
Und
dann seine Frage nach dem Glück. Der Ausdruck in seinem Gesicht.
Erst
hatte sie gedacht, er wolle nur wissen, wie üblich solcherlei Spielchen waren,
und ob er so etwas auch von Marian erwarten konnte.
Aber
da war etwas in seiner Miene gewesen, als sie ihre Ehe erwähnt hatte. Etwas,
das sie tief innen drin berührt hatte. Ein weicher und gleichzeitig
tieftrauriger Zug um seine Augen. Irgendwie verletzlich hatte er gewirkt.
Ob
er so etwas selbst noch nie erlebt hatte? Intimität, Vertrauen, die Liebe eines
anderen Menschen? Das war ihr spontan durch den Kopf geschossen und sie hatte
mit einem Mal eine große Zärtlichkeit in sich gespürt für diesen harten Mann,
der noch nie so etwas hatte erfahren dürfen.
Und
ihr Närrin war nichts Besseres eingefallen, als ihn auf die Schulter zu küssen!
Küssen! Ihn!
Wenn
sie daran zurückdachte, erkannte sie sich selbst nicht mehr.
Wie
kam sie nur auf so einen Irrsinn?
Was
war da in sie gefahren, eine völlig fehlgeleitete Anwandlung ärztlichen
Mitgefühls? Für jemanden, der andere Leute skrupellos aufhängen ließ, wenn sie
ihm nicht passten?
Susannah
schüttelte heftig den Kopf. Was war nur mit ihr los, hatte sie sich irgendein
Fieber zugezogen, welches sie nach und nach verwirrte? Sie musste schleunigst
zusehen, dass sie ihre fünf Sinne wieder zusammen bekam.
Wobei
sie trotz aller Vernunft zugeben musste, dass seine Schulter wirklich ansehnlich
war…
6 Die bittere Wahrheit
Eine angenehme Kühle umfing Susannah, als sie die Kirche betrat. Sie war etwas
zu früh dran, die heilige Messe würde erst in einer halben Stunde beginnen.
Susannah bekreuzigte sich demütig und schritt langsam nach vorne. Am
Seitenaltar kniete sie nieder und zündete eine schmale Kerze an.
Heute
war Gideons Geburtstag, er wäre sechsunddreißig Jahre alt geworden.
Sie
senkte den Kopf und dachte an die schöne Zeit mit ihm zurück. An das Lachen, an
die Unbeschwertheit, an die vielen Pläne für gemeinsame Reisen und natürlich
für eine große Familie. Aber daraus war nichts mehr geworden, seine
heimtückische Krankheit war dazwischengekommen und hatte alle Planungen und
auch das unbekümmerte Strahlen seiner warmen Augen völlig zerstört. Alles war
nach und nach auseinandergefallen, Stück für Stück, wie ein trockener Blätterhaufen
im Herbstwind.
Und
dann hatte sie irgendwann alleine dagestanden, eine Hebamme ohne eigene Kinder.
Dabei hatte sie immer davon geträumt, einmal Mutter zu sein! Und sich Gideon
ganz wundervoll als Vater vorstellen können, der seine Sprösslinge auf den
Schultern herumträgt, durch die Luft wirbelt, ihnen selbst erdachte Geschichten
über Kobolde und Feen erzählt. Nun half sie nur fremden Kindern auf die Welt.
Susannah
schob die Haube, die sie für die Kirche aufgesetzt hatte, ein Stück aus der
Stirn. Details aus Gideons Gesicht fielen ihr ein. Das Muttermal am
Ohrläppchen. Der Haarwirbel am Hinterkopf. Das Grübchen, das in seinem Kinn
entstand, wenn er über eine ihrer verrückten Ideen schmunzelte.
„Deine
Einfälle würden ja für mindestens fünf Männer reichen! Ist soviel Abenteuerlust
euch Weibsvolk überhaupt erlaubt?”, hatte er breit grinsend gesagt.
Und
sie hatte ihm mit dem Küchentuch, das sie gerade zum Abtrocknen in der Hand
hielt, eins übergebraten.
„Kannst
mich ja ins Verlies sperren lassen”, hatte sie erwidert, „aber dann musst du
deinen Eintopf selber kochen.
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