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NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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dieses Dilemma nach. Nichts war schlechter durch das
Leben der Mutter, doch ebenso war nichts besser. Es machte keinen Unterschied,
ob die Stadt Bewusstsein hatte oder nicht, denn sie sprach so wenig zu den
Menschen, wie diese zu ihr sprachen. Er wünschte sich, diesen Gedanken mit seiner
Mutter diskutieren zu können, doch er war von ihr so weit entfernt wie die
Menschen von der Stadt: Sein Zeitrahmen schritt so viel langsamer fort. Ebenso
hätte ein Mensch ver-suchen können, sich mit einer Stubenfliege zu unterhalten.
    Während
er dies dachte, wurde sein Bruder geboren. Seine Mutter bedeckte den Kontinent
inzwischen als mehrere hundert Meter dicke Schicht aus Infrastruktur: Etage um
Etage aus Beton, Kunststoff und Menschen, verbunden durch Kupfer, Glas und
Silikon. Im Blitzen eines Gedankens lösten sich schwimmende Plattformen von
ihrer Küste, vereinigten sich weiter draußen zu einer künstlichen Insel.
    War
seine Mutter schon ein Monstrum aus Stahl und Stein, so traf dies für ihren
Sohn Eothom tausendfach zu: Obwohl kleiner, schwitzte er das Vielfache an Gift
und Strahlung aus. Der Ozean, in dem er schwamm, starb in einer
Geschwindigkeit, dass es Goë war, als ränne das Leben wie Wasser zwischen
seinen steinernen Händen hindurch. Und wo er bei seiner Mutter noch einen
Funken von Vernunft und Plan wahrnahm, da war bei Eothom nichts. Er war nur
Sein, nur Fressen, nur Atmen, nur Ausscheiden. Das Kind der weisen Stadt war
das niederste denkbare Lebewesen, gleichauf mit einem Virus oder einer Flechte.
    Währenddessen
verdunkelte sich die Luft von dem Miasma der schwimmenden Siedlung. Menschen in
beiden Städten krochen wie bleiche, kranke Würmer durch die Eingeweide der sie
nährenden und verseuchenden Metaorganismen.
    Mutter!,
rief Goë mit einer Stimme aus berstenden Gletschern und reißendem Wasser.
Siehst du nicht, was du da geboren hast?
    In
der Zeit, die er brauchte, um diesen einen Satz zu sprechen, begann ein Krieg
zwischen Mutter und dem Eothom, der ein Drittel des Kontinents in eine
schwarze, geschmolzene Wüste verwandelte und ein weiteres Drittel für immer mit
tödlichen Minenorganismen verseuchte. Mit einem verzweifelten Kraftaufwand
erschuf seine Mutter einen Betonwall von fast einem Kilometer Höhe, um die
schwärende Wunde, um den Brand einzudämmen.
    Es
war nicht genug.
    Eothom
schwamm derweil an Land und begann die Stadt zu fressen, seine Struk-turen in
die ihren zu bauen, bis alles seinem unbegreiflichen und dennoch höchst simplen
Zweck diente: Zu sein, zu wachsen.
    Bisher
hatte er von Goë keine Notiz genommen, doch nun wurden die Rohstoffe knapper.
Die Recyclingkuppeln vor der Küste fraßen weiter Substanz aus der Stadt und
erbrachen neue Eothomgebäude und -fahrzeuge, doch das war ihm nicht genug.
Eothom richtete seinen Blick aus einer Milliarde Kameraaugen auf den Berg
namens Goë.
    Am
Ende weiß ich nichts zu sagen, dachte Goë, um mich noch von dir, Mutter, zu
verabschieden. Wenn du antworten könntest, wenn ich dich hören könnte, würdest
du bedauern? Du hast länger gelebt als je ein denkendes Wesen vor dir. War es
das wert? All das Leid, das in den letzten Jahrtausenden über diese Menschen
kam, so klein und unbedeutend sie uns jetzt auch vorkommen?
    Goë
richtete den Blick nach innen und erwartete die nagenden Maschinen Eothoms.
Doch als der Schmerz kam, war er anders: Ein Brennen, nicht von Schaufelbaggern
und Tunnelgräbern, sondern von atomarem Feuer. Die Atmosphäre brannte.
    Was
war geschehen?
    Unmerklich
hatte sich die Sonne in der letzten Epoche um einen Gutteil aufgebläht, hatte
den inneren Planeten verschlungen und einen weiteren zu Asche verbrannt. Nun spie
sie eine Fackel aus Plasma bis zu den Gasriesen im äußeren System und rö-stete
die Welt dabei wie unter einem planetengroßen Brenner.
    Eothom
und Mutter vergingen zu schwärzlicher Schlacke.
    Goë
starb nicht, doch auch die beiden Städte überlebten. Zu dick waren sie
ge-wuchert, zu tief hatten sie dornige Wurzeln und Gänge in die Kruste
getrieben, um ganz ausgelöscht zu werden. Tief in beiden war noch Leben, waren
noch Menschen (auch aus Plastik, auch aus Öl, auch aus Gas, aber dennoch
Menschen). Die Städte verknäuelten sich, verwuchsen, bildeten eine
unbegreifliche Knolle, ebenso groß wie Goë selbst. Ein Gebirge aus den Resten
der Zivilisation.
    Und
dann, wie bei einem Vexierbild, begriff Goë, was er vor sich hatte.
    Als
das Raumschiff abhob, sprengte es einen Krater von der Größe des

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