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NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition)

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 19 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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keramischen
Rohrleitungen, die sich durch jede Pore dieses Ungetüms aus Stahl und Beton
zögen. Und wenn die Leute am Morgen zu ihren unverständlichen, sinnlosen
Arbeitsstellen eilten, sich in Untergrundbahnen quetschten, die nur Teile ihres
neuen, unsterblichen Nervensystems seien, dann dächte sie vielleicht gerade
einen schönen Gedanken. Und wenn die bedauernswerten Geschöpfe ihrer Stadt in
ihren Büros Depesche um Depesche auf
ihren Fotokopierern verarbeiteten, sie abtippten und verfälschten, redigierten,
bearbeiteten, die Fotos schönten, färbten und verzerrten, neue Lügen und
Geschichten ersannen und sie an andere Unglückliche weitergaben, dann sei das
nur ein höchst notwendiger und erbaulicher Teil ihrer Verdauung.
    Sie
lachte beim Gedanken daran.
    Auch
Goë lächelte. Ihm taten die Menschen der Zukunft leid, doch sie waren nicht
schlechter dran, in seiner Mutter zu leben, als die Menschen der Gegenwart und
der Vergangenheit, die in Städten ohne Bewusstsein gelebt hatten, die kaum mehr
Geist als ein Pantoffeltierchen besessen hatten. Wenigstens hätte das Leben der
Zukünft-igen einen höheren Zweck, nämlich den, seiner Mutter zur
Unsterblichkeit zu dienen.
    Doch,
unterbrach diese seine moralische Betrachtung, eines sei ihr nicht klar. Wie
wolle er mit der Heisenbergschen Unschärferelation umgehen? Seit Jahrtausenden
stelle sich dieses Gespenst der Physik den Menschen in den Weg, sei es nun beim
Transfer des Geistes oder bei der Teleportation mittels Energiestrahlen über
große Distanzen. Immer bestehe das Problem, erwähnte Messgrößen eines Systems
genau genug zu bestimmen und schließlich im Zielsystem festzuhalten. Es sei nun
einmal unmöglich, Zustand und Geschwindigkeit eines Neurons in seinem
Phasenraum genau genug zu bestimmen, geschweige denn, das künstliche Neuron in
eben jenen Kompositzustand zu zwingen und dies auch noch zum exakt selben
Zeitpunkt. Wie er sich das vorstelle.
    Möglich
nicht, nein, bestätigte er. Doch auch nicht notwendig. Denn das Ziel sei es ja
nicht, ein einzelnes Neuron zu programmieren. Das Gesamtsystem solle vielmehr
über längere Zeiträume isomorphe Handlungen ausführen. Nicht die Deckungsgleichheit
im Mikromaßstab sei es, die sie anstreben, sondern die Vergleichbarkeit über
die lange Sicht. Und die sei - das lehre nicht zuletzt die
Singularitätentheorie - mit Mikrokopien ohnehin nicht zu erreichen. (Er wolle
hier nicht von Schmetterlingen anfangen, obwohl jeder Schmetterlinge möge.) Sei
es möglich, einen ruhenden Stein von einer Sekunde auf die nächste in einen
geostationären Orbit zu bringen? Schwerlich. Aber wenn man sich Zeit ließe, den
Fels langsam beschleunige, vorsichtig diesen, dann jenen Parameter korrigiere,
dann ist es sogar leicht. Ihr Geist sei der Orbit, eine Bahn durch einen
vieldimensionalen Phasenraum möglicher Geistkonfigurationen. Durch langsame
Annäherung könne es gelingen, die Stadt auf ihren Orbit zu bringen. Dann, erst
dann, sei die stählerne und fleischliche Hülle endgültig überflüssig.
    Würde
sie denn so lange leben? Wie lange würde es denn dauern?
    Sehr
lange. Doch wenn sie ihr Leben noch eine Weile mit den bekannten Mitteln der
Chirurgie, Biologie und Kybernetik ausdehne, dann könne es gelingen.
     
    Es
gelang. Die Mutter wurde die Stadt.
    Als
es vollendet wurde, war Goë selbst ein alter Mann aus Kunststoff und Kristall.
Kurz vor seinem Tod verwendete er sein neues Wissen, um sich in einen Berg zu
verwandeln, langlebiger und langsamer noch als seine Mutter. Sein Pulsschlag
wurden die unmerklichen geologischen Prozesse des Grundes, auf dem der Berg
ruhte, seine Sinne waren die Erosionsprozesse durch Licht und Wetter, die an
seinen Flanken nagten und sich durch Wasser und Salze langsam in sein Inneres
fortsetzten, um ihm so ein langsames, so langsames Abbild der Welt draußen zu
zeigen. Es war ein müh-samer Lernprozess, doch er hatte die Ewigkeit. Sie
verging, bevor er das erste Mal die Augen aufschlug, um zu sehen, was aus seiner
Mutter geworden war.
    Sie
war gewachsen, wuchs noch immer, überwucherte den gesamten Kontinent,
verdunkelte den Himmel mit den Ausdünstungen ihrer Industrie, schwitzte
Schwermetalle, Gift und Salze in die umgebenden Meere.
    Goë
sah die Menschen in ihr gedeihen, sich vermehren, auch leiden und kränkeln. Er
wusste, dass sie dies auch in einer unbewussten Stadt der Vorzeit getan hätten.
Er wusste, dass sie es erlitten hatten, lange vor seiner Geburt.
    Eine
Zeitlang dachte er über

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