NOVA Science Fiction Magazin 20
gehen.
Natürlich
stand von den schrecklichen Ereignissen des Vorabends nichts im Blatt. So
schnell waren die Druckerpressen denn doch nicht.
Die
Ärzte hatten sich geweigert, den einzigen Überlebenden des furchtbaren
Sprengstoffattentats am selben Abend zu entlassen. Von Hofstaetter hatte nur
kurz mit ihm telefonieren können; die Doctores waren wirklich sehr
besorgt. Natürlich war Franz Vicomte zu Teufel-Walldorf zutiefst indigniert
gewesen, die Nacht in der Obhut der Barmherzigen Schwestern verbringen zu
müssen. Es blieb ihm allerdings nichts anderes übrig.
„Verflixt
und zugenäht“, hatte er gesagt, „die tun hier so, als wäre es geradezu ein
Skandal, dass ich am Leben bin. Dabei hatte ich nur zu viel Wasser zum
Chardonnay getrunken, und kaum bin ich retiriert, verwandelt sich Danzigs
Königsstraße in eine Feuerhölle!“ Die Stimme klang ungläubig. „Der
Innenarchitekt des Hauses Bodelschwingh hat Toilettentüren aus massiver
Mooreiche einbauen lassen, was ich schon ein wenig dekadent finde. Anderenfalls
jedoch könnte ich gar nicht mehr telefonieren, sondern Sie müssten mittels
einer Séance mit mir Kontakt aufnehmen.“
Von
Hofstaetter fand den müden Witz unpassend angesichts der verheerenden Folgen
des Anschlags. Einige der verheißungsvollsten Köpfe der verbündeten Mächte
waren ihm zum Opfer gefallen. Der Verdacht hatte sich sofort auf die einzige
europäische Monarchie konzentriert, die einen Vorteil aus dem Zwischenfall
ziehen konnte. London hatte natürlich sofort jede Beteiligung an der Geschichte
weit von sich gewiesen. Hinter den Kulissen ratterte das Räderwerk der
Diplomatie.
„Und
passen Sie bitte gut auf meine Aktentasche auf“, hatte zu Teufel-Walldorf noch
gesagt. „Sie enthält Dinge von beträchtlichem Wert, deren Verlust für mich
vollkommen inakzeptabel wäre.“ Dann wurde das Gespräch von irgendeiner besorgten
Florence Nightingale beendet.
Aaron
Chevalier von Hofstaetter warf einen langen, nachdenklichen Blick auf die
Aktentasche. Ein Kunstwerk, unzweifelhaft, und der Vicomte pflegte es fast
immer bei sich zu führen. Er trieb geradezu einen Kult um dieses Gepäckstück,
und von Hofstaetter hatte sich sehr gewundert, dass ausgerechnet er zum
Beschützer des Köfferchens avanciert war. Andererseits war es kaum vorstellbar,
zum Bodenschwinghschen Empfang in klassischer Abendgarderobe zu erscheinen und
dabei ein Gepäckstück mit sich zu schleppen, wie edel gearbeitet es auch sein
mochte.
Wenn
ich darauf aufpassen soll, sagte sich von Hofstaetter, kann ich mir das
Schmuckstück getrost näher ansehen. Er drehte es vorsichtig in den Händen,
überrascht von dem beträchtlichen Gewicht. Er musterte die Verzierungen und
ließ seine Fingerspitzen über perfekt eingebettete Intarsien gleiten. In der
Nähe des Schlosses stutzte er. Da war eine winzige Klappe. So raffiniert
getarnt, dass ein weniger geschultes Auge sie unmöglich entdecken konnte. Von
Hofstaetter öffnete den verborgenen Mechanismus und entblößte unter der Klappe
ein tiefschwarz schimmerndes Viereck, ein daumenabdruckgroßes Stück Obsidian.
Sehr mysteriös.
Aaron
von Hofstaetter stutzte.
Daumenabdruck?
Hatte er nicht einmal, nur aus dem Augenwinkel, den Vicomte gesehen, wie er an
seiner Tasche hantierte und seinen Daumen kurz neben das Schloss hielt, ehe er
samt der Tasche in irgendeinem cabinet particulière entschwand?
Das
Vergrößerungsglas an seiner Schnur war rasch aus der Westentasche geholt, und
für Minuten studierte von Hofstaetter das rätselhafte Detail. Dann griff er zum
Telefon und verlangte eine eilige Verbindung nach Itzehoe.
Es
meldete sich nach einigen Sekunden Graf Pedro von Ehrenberg. Nachdem etwa fünf
Minuten lang die unvermeidlichen Höflichkeitsfloskeln und der Austausch über
das Wetter in Danzig und an der Juljanka ausgetauscht worden waren, beschrieb
von Hofstaetter, was er vor sich hatte, ohne allzu sehr ins Detail zu gehen. Er
erwähnte nicht, was gestern geschehen war, und er vergaß mitzuteilen, wem die
in Frage stehende Vorrichtung gehörte.
„Wäre
es vorstellbar“, fragte er dann, „dass so ein kleines Fensterchen einen
Mechanismus enthält, der ein daktylogramme prüft? Und nur demjenigen den
Zugang gestattet, der im Innern auf irgendeine Weise gespeichert ist?“
Nun
war Graf Pedro von Ehrenberg ein begnadeter Spinner, dem jedes Rätsel ein
Gräuel und Anlass zu wilden Spekulationen war. Einmal in Gang gesetzt, spuckte
sein überreiztes Hirn eine schräge
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