NOVA Science Fiction Magazin 20
verschiedene Dinge miteinander verbinden“, sagte er in
einem leicht dozierenden Tonfall. „Solche Zusammenballungen von Schicksal nennt
man einen Nexus. Wenn man einen solchen ausschaltet, rasten Erfindungen,
Menschen und Ereignisse in die Schienen einer anderen Fügung ein. Der Zug der
Geschichte nimmt ein anderes Gleis. Seit der Detonation in Danzig können
gewisse Ereignisse nicht mehr eintreten, weil die beteiligten Personen nicht
mehr am Leben sind, beispielsweise.“
Er
hielt inne, nahm nun doch das schimmernde Gerät heraus und klappte es auf.
Blitzschnell tackerten seine Finger ein Kennwort hinein, eine Fläche erstrahlte
bunt.
„Eine
Welt, in der Rathenau niemals Reichskanzler wurde, weil er anno 1922 ermordet
worden ist, ist ein anderes Beispiel. Dies wäre eine Welt, in der von dieser
schönen Stadt dort“, er wies hinüber zu dem matten Lichtermeer, das aus der
Dresdner Innenstadt durch den Nebel heraufschimmerte, „nur Trümmer übrig sind.
Eine Welt, in der Kopien der wichtigsten Bauwerke errichtet werden mussten.“
Das
Gerät zeigte ein Bild, das unmöglich war. Von Hofstaetter benötigte einige
Augenblicke, um zu begreifen, was er da sah. Er erkannte erst an der Silhouette
des Zwingers im Hintergrund, was das sein sollte. Die Innenstadt von Dresden,
zermalmt und zerstört. Nur ein fragmentarischer Rest der Frauenkirche erhob
sich aus dem Schutt. Der Künstler hatte einer äußerst morbiden Phantasie freien
Lauf gelassen und sogar Leichen zwischen die Trümmer gezeichnet ... dennoch
sah dieses Bild aus wie eine Photographie.
Aaron
von Hofstaetter löste seine Augen von dieser Abnormität und sah den Vicomte
verwirrt an.
„Ein
Nexus“, wiederholte er.
„Ja“,
bestätigte zu Teufel-Walldorf. „Als Sie meinen … Sie würden es einen ordinateur nennen … besichtigt haben, hat eine eingebaute Kamera Ihr verblüfftes
Gesicht aufgenommen, wissen Sie. Aber da hatte ich bereits erfahren, dass Sie
das Zentrum des nächsten Nexus' sein würden, und habe mir die Pläne all der
alten Weinkeller auf dem Weißen Hirsch besorgt.“
Ein
Gefühl der Bedrohung beschlich Aaron von Hofstaetter. Langsam ging ihm auf,
dass alle Wege nach draußen versperrt waren, und versperrt bleiben würden.
Dafür würde Herr Kowalski schon sorgen, und zwar an allen Türen und Pforten
gleichzeitig. Er war hier drinnen eingesperrt mit einem Irren, der als einziger
einen geheimen Ausgang kannte; kein gutes Gefühl.
„Mein ordinateur kann Opferschätzungen ausgeben, je nachdem, ob ein Nexus
ausgeschaltet wird oder nicht. Den Attentäter Rathenaus brutal zu garottieren
war sicherlich eine scheußliche Gewalttat. Dieser Mord jedoch hat einen
fürchterlichen Krieg verhindert und vielen Millionen das Leben gerettet ...
die Geschichte in andere Bahnen gelenkt. Ich weiß es.“ Der Vicomte klappte den ordinateur wieder zu und ließ ihn hinter den Intarsien verschwinden. Dann schaute er von
Hofstaetter in die Augen, und es war keine Spur von Leichtigkeit in seinem Gesicht.
„Ich
kenne eine Welt, in der es weder Rathenaus viele Rapallo-Verträge gegeben hat
noch das Zeppelin-Förderungsgesetz. Ich komme aus einer Welt, in der Leute wie
Ihr Freund Pedro nicht existieren, nur weil ihre Familie früher Güldenstern
hieß.“
Aaron
von Hofstaetter spürte, wie sich der Boden unter seinen Füßen zu bewegen schien
… als zöge jemand einen Teppich unter ihm weg.
Der directeur schraubte das längliche Futteral auf und spähte nachdenklich
hinein. „Keine schöne Welt“, murmelte er, „verglichen mit der Ihren. Weniger
friedlich.“
Aaron
von Hofstaetter schauderte. Ein Eisschrank hatte hinter ihm seine Türen
geöffnet. Was zum Teufel ging hier vor?
„Das
Dresdener Luftschiff zum Absturz zu bringen“, sagte der Vicomte, „ließ den
ersten Nexus erlöschen. Eine sehr gefährliche Erfindung wurde, nun ja,
entfunden. Das Attentat in der Königsstraße brachte den zweiten Nexus zum
Verschwinden, genauer gesagt, eine Gruppe von Leuten, deren Ideen zu
Veränderungen hätte führen können. Zu sehr gefährlichen Veränderungen. Ein
letzter Nexus bleibt übrig, der dritte. Ganz wie im Märchen, wenn der Held drei
Aufgaben zu erledigen hat. Ich dachte, es wäre der notorische Kreativling, den
ich zu tilgen hätte, aber nein … Graf Pedro darf weiterleben. Sie allerdings
nicht, Aaron Chevalier von Hofstaetter.“
Ein
hauchdünn geschliffener Stahl, von einem Moment zum anderen hervorgerissen aus
seinem Gehäuse,
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