Novecento - Die Legende vom Ozeanpianisten
gegangen.« Nur das: »Und Novecento ist nicht von Bord gegangen.«
Tagelang drehte ich diesen Brief in den Händen hin und her. Dann nahm ich den Zug nach Plymouth, ging zum Hafen, suchte die Virginian , fand sie, gab den Wachen, die da standen, ein bißchen Geld, ging an Bord des Schiffes, durchstreifte es von oben bis unten, stieg in den Maschinenraum runter, setzte mich auf eine Kiste, die voll Dynamit zu sein schien, nahm meinen Hut ab, legte ihn auf den Boden und blieb so sitzen, schweigend, ohne zu wissen, was ich sagen sollte /
… Reglos den Blick auf ihn gerichtet, reglos den Blick auf mich gerichtet /
Dynamit auch unter seinem Arsch, Dynamit überall /
Danny Boodmann T. D. Lemon Novecento /
Man hätte meinen können, er wußte, daß ich kommen würde, so wie er immer schon die Töne kannte, die man spielen wollte, und … /
Mit diesem Gesicht, das gealtert war, aber schön gealtert, ohne Müdigkeit /
Kein Licht auf dem Schiff, nur das, was von draußen hereindrang, wer weiß, wie die Nacht war /
Die Hände weiß, das Jackett ordentlich zugeknöpft, die Schuhe geputzt /
Und er war nicht von Bord gegangen /
Im Halbdunkel sah er aus wie ein Prinz /
Und er war nicht von Bord gegangen, er würde zusammen mit allem anderen in die Luft fliegen, mitten auf dem Meer /
Großes Finale, und alle schauen dem großen Feuerwerk von der Mole und vom Ufer aus zu, adieu, der Vorhang fällt, Qualm und Flammen, eine große Welle, am Ende /
Danny Boodmann, T. D. Lemon /
Novecento /
In diesem von der Dunkelheit verschlungenen Schiff ist die letzte Erinnerung an ihn fast nur eine Stimme, die sanft spricht /
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(Der Schauspieler verwandelt sich in Novecento.)
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Diese ganze Stadt … man konnte ihr Ende nicht sehen …/
Das Ende – bitte sehr, könnte man mal das Ende sehen?
Und dieser Krach /
Auf diesem gottverdammten Steg … war alles sehr schön … und ich sah großartig aus in diesem Mantel, ich machte eine tolle Figur, ich hatte keine Bedenken, es war todsicher, daß ich von Bord gehen würde, es gab da überhaupt kein Problem /
Mit meinem blauen Hut /
Erste Stufe, zweite Stufe, dritte Stufe /
Erste Stufe, zweite Stufe, dritte Stufe /
Erste Stufe, zweite /
Nicht das, was ich sah, hielt mich zurück /
Sondern das, was ich nicht sah /
Kannst du das verstehen, Bruder? Das, was ich nicht sah … ich suchte es, aber es war nicht da, in dieser ganzen grenzenlosen Stadt gab es alles außer /
Es gab alles /
Aber es gab kein Ende . Ich konnte nicht sehen, wo das alles aufhörte. Das Ende der Welt /
Stell dir vor: ein Klavier. Die Tasten fangen an. Die Tasten hören auf. Du weißt, daß es achtundachtzig sind, da kann dir keiner was vormachen. Sie sind nicht unendlich. Du bist unendlich, und in diesen Tasten ist die Musik unendlich, die du machen kannst. Sie sind achtundachtzig. Du bist unendlich. Das gefällt mir. Damit kann man leben. Aber wenn du /
Aber wenn ich auf diesen Steg gehe, und vor mir /
Aber wenn ich auf diesen Steg gehe, und vor mir erstreckt sich eine Klaviatur von Millionen Tasten, Millionen und Abermillionen /
Millionen und Abermillionen Tasten, die überhaupt kein Ende nehmen, und wenn diese Klaviatur unendlich ist /
Wenn diese Klaviatur unendlich ist, dann /
Gibt es auf dieser Klaviatur keine Musik, die du spielen kannst. Du hast dich auf den falschen Hocker gesetzt: Das ist das Klavier, auf dem Gott spielt /
Du lieber Himmel, hast du diese Straßen gesehen? Schon allein die Straßen, Tausende gab es davon, wie schafft ihr es da draußen bloß, euch eine auszusuchen /
Euch eine Frau auszusuchen /
Ein Haus, ein Stück Land, das eures sein soll, eine Landschaft, die man sich ansieht, eine Art zu sterben /
Diese ganze Welt /
Diese ganze Welt am Leib, von der man nicht mal weiß, wo sie aufhört /
Und wieviel es davon gibt /
Habt ihr denn nie Angst, daß ihr in tausend Stücke springt, schon wenn ihr nur daran denkt, an diese Riesigkeit, wenn ihr nur daran denkt? Und in ihr zu leben … /
Ich bin auf diesem Schiff geboren. Und hier kam die Welt vorbei, aber immer nur zweitausend Leute auf einmal. Und Wünsche gab es auch hier, aber nicht mehr als zwischen einem Bug und einem Heck Platz haben. Man spielte sein Glück auf einer Klaviatur, die nicht unendlich war.
So habe ich es gelernt. Das Land ist ein Schiff, das zu groß für mich ist. Es ist eine zu lange Reise. Es ist eine zu schöne Frau. Es ist ein zu starkes Parfüm. Es ist eine Musik, die ich nicht
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