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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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dauernd friedlich und ahnungslos in der Gabelsberger Straße wohnte, das war der Möbeltischler und Handwerker Bernhard Broikowski. Er las seine »Morgenpost« und war zufrieden, daß die Revolution sich nicht in seine Straße verirrte. Er arbeitete in einer Fabrik billiger Möbel für Abzahlungsgeschäfte. Er hatte, gestehen wir es offen, manchmal Gewissensbisse. Er fürchtete, in der Tiefe seiner Seele – nur seine Frau wußte davon –, einen nahen Racheakt, und zwar von Kunden seiner Firma. Denn was in der Fabrik an Möbeln für teures Geld, wenn auch auf Abzahlung, hergestellt wurde, was für schäbiges Holz man nahm, wie oberflächlich man polierte und wie man Leim sparte, das schrie zum Himmel nach Vergeltung. Er, der Werkmeister, fürchtete einen Überfall zum Beispiel von seiten jung verheirateter Ehepaare, denen die Bretter unter dem Gesäß zusammenbrachen, von dickeren Frauen, die ahnungslos rückwärts von ihren Stühlen fielen und sich das Kreuz zerschlugen (Stühle, zu Abzahlungspreisen gebaut), und von alten Junggesellen, die sich einzelne Spinde kauften, für ihre Bücher, für ihre Sammlungen, ihre Kleider, und die bei einer heftigen Bewegung an dem empfindlichen Möbel sich einem zusammenkrachenden Naturereignis gegenübersahen, welches Gläser, Bücher, Hosen und Hemden in eins zusammenwarf und sie selber damit verschüttete. »Unsere Möbel bedürfen besonders sorgsamer Pflege«, warnte der Prospekt der Firma, »das I. R.V.-Abzahlungsholz ist fein und zart, der I. R.V.-Abzahlungsleim und die Abzahlungsmöbel sind Spitzenprodukte, die keine Konkurrenz finden, die I. R. V.-Abzahlungsbettstellen, Spinde, Stühle, Tische sind die Möbel moderner sensitiver Menschen«, aber mit solchen Wendungen wusch man nicht sein Gewissen rein. Am frühen Morgen des 21.November erschien ein Detachement von zehn Bewaffneten auf dem Hof des Hauses in der Gabelsberger Straße. Sie holten den alten Werkmeister aus dem Bett heraus und fragten ihn, ob er zufällig Bernhard Broikowski hieße. Er gestand es. Er gab auch zu, wonach sie zu seinem Erstaunen fragten, der Partei der Verräter – diesmal waren es die Sozialdemokraten – anzugehören, und zwar als Schatzmeister der Zahlstelle Gabelsberger Straße, seit fünfzehn Jahren, war aber bereit nachzuweisen, daß 32.50 Mark in der Kasse seien. Darauf mußte er sich anziehen. Jacke, Hose und Hausschuh genügten den Bewaffneten.
    Seine Frau, wie sie die Gewehre und ihren Mann dazwischen sah, ahnte nichts Gutes. Sie lief in den dritten Stock, wo ein Bezirksverordneter der Partei, ein naher Freund des Mannes, wohnte. Der kam scheinmutig herunter, fragte den Führer des Kommandos aus, drohte zu protestieren, entwich aber, als die Leute untereinander flüsterten und ihn selber schief betrachteten, in den Hausflur, dann die Treppe hinauf auf den Boden, von wo er das Nachbardach erreichte (das war ein Weg, den er sich für den Ernstfall schon lange ausgedacht hatte). Er saß mit Herzklopfen in dieser Höhe, froh, entkommen zu sein, in einer offenen Kammer des Bodens auf einem niedrigen Brikettstapel, sah, daß es Mäuse gab und spekulierte, die Leute hier werden Lebensmittel versteckt haben, eventuell verproviantiere ich mich davon. Da krachte unten eine Salve, man hörte ein gellendes Frauengeschrei, und in seiner Angst bewegte er sich zwei Stunden nicht von der Stelle. Als er auf der Treppe den Portier fegen sah, der vor ihm erschrak, befragte er ihn und erfuhr: Man hatte den alten Broikowski füsiliert. »Warum?« Achselzucken, Weiterfegen.
    Das Kommando hatte Broikowski mit seinem Schwager Braß verwechselt. Man stellte das Versehen noch am selben Tage fest, weil der füsilierte, nämlich der gesuchte Schwager, der von dem Attentat gehört hatte, einwandfrei gesehen wurde und einen Zettel hinterließ, daß man ihm den Buckel runterrutschen und sonstige unanständige Prozeduren an ihm vornehmen könne. Immerhin, tot ist tot, galt für den Werkmeister, und das machte auch die eingeleitete Untersuchung nicht wett.
    Er freilich saß jetzt, fern von dem wüsten Erdentreiben, von Revolution und Krieg, auch von seiner Fabrik, die ihn vermißte, oben im Himmel, worauf er als frommer Katholik Anspruch hatte, und beobachtete von da den weitern Verlauf der deutschen Revolution, speziell in seiner Wohngegend. Er schmunzelte über den Wolken und erwog: »Eigentlich bin ich mit einem blauen Auge davongekommen. Denn wenn es schließlich sich doch herausgestellt hätte, das mit dem

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