November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Konzil versammelte. Junge und ältere Ärzte, ständige und vorüberkommende klopften und auskultierten an dem Herzen, es scharrte, es rieb, man gab sich Mühe zu erkennen, ob es vom Herzen oder vom Brustfell kam, und ob man weiter unterscheiden konnte, was von den Klappen und was von den Häuten des Herzbeutels kam. Wenn der braunbärtige kluge »Konsultierende« erschien, der Professor, so hatte er gewiß den jungen Johannes im Kopfe. Quer über der Bettdecke wurde sofort die meterlange Kurve aufgerollt, der Kranke sah, was alles mit ihm geschehen war, man unterhielt sich über ihn wie über ein Haus, in dem Röhren und Leitungen laufen und noch immer nicht funktionieren. Immer wieder wurden seine dünnen Arme angespießt, damit ihre Venen die gesuchten Bakterien hergaben. Auf Platten und in Bouillonröhrchen wurde das Blut gespritzt, wonach man sie in Brutkästen steckte. Von da, aus den Laboratorien, wurden die Platten und Röhren wieder ins Lazarett gebracht und am Krankenbett mit Lupen betrachtet. Man ging zwischen Bett und Fenster hin und her, und es entstanden lange Diskussionen, ob dies nun die richtigen Kokken seien und nicht einfache Verunreinigungen. Johannes lernte Bakteriologie. Wenn etwas rasch wuchs und die Platte gelb und dick überzog oder die klare Bouillon sich klumpig trübte, dann waren es Verunreinigungen, und man ärgerte sich und beschuldigte manchmal den Patienten, er habe bei der Blutentnahme gezuckt, was er stets leugnete. Interessanter waren die zarten Trübungen auf den Nährböden, die man schließlich doch entdeckte, aber auch da gab es Streitigkeiten, denn kaum hatte man sie, dann behaupteten welche, daß in diesem Stadium der Krankheit überhaupt keine Bakterien mehr im Blut kreisten, sie hätten sich lokalisiert, am Herzen, am Brustfell. Johannes merkte, wie schwierig Medizin war, und er diskutierte seinen Fall selber mit den Schwestern und den Hilfsärzten. Allmählich begnügte sich alle Welt damit, ihn bei den Besuchen erzählen zu lassen, wie es gekommen sei. Er konnte seine eigne Kurve demonstrieren, manche hielten ihn für einen Medizinstudenten. Dann stürzten sich die Besucher neugierig mit Hörrohren oder langen Ohrschläuchen auf das Herz, um befriedigt lange zu hören. Johannes prüfte den Ausdruck der Ärzte, wenn sie sich von seinem Herzen aufrichteten, es unterhielt ihn, er machte sich über ihre Unkenntnis lustig.
So hatte Johannes monatelang im Hauptsaal der Inneren Station gelegen; er war ein Waisenkind aus Würzburg, von einer Tante bekam er alle zwei Wochen einen Brief oder eine Ansichtskarte, er war ein energischer, etwas roher Bursche, dem die subtile Behandlung und die Möglichkeiten zu lernen wohl bekamen.
Da lag er nun plötzlich in dem großen verräucherten Hospitalsraum an der Wand in einer Reihe mit zwölf andern Betten. Er zählte, ich bin der sechste von der Tür, und drüben standen wieder sechs. Er ärgerte sich; was wird denen schon fehlen, den Drückebergern. Und schon regte sich ein vergessenes Tier in ihm, ein wildes kräftiges, das beißen konnte. Er wurde – in einer kleinen Stunde gesund. Er setzte sich, seit Monaten zum ersten Mal, von selbst auf und aß ohne Hilfe.
Die junge Frau kann sich am Nachmittag vor Unruhe nicht halten, als Jund nicht zu ihr kommt, sie schreibt einen Zettel, worin sie ihn fragt, was aus dem angekündigten Geschäft geworden sei; ihre Kunden haben ihr wie immer ihre Schleichhandelswaren, Zucker, zwei Hühner, etwas Speck gern abnehmen wollen, und sie hat sie abgegeben, aber für welche schlechten Preise. Ganz zittrig schreibt sie, was soll werden; es ist doch nichts mit Schreibwaren. Herr Jund kehrt mittags zurück, überfliegt ihren Zettel, springt zu ihr herüber, hat aber nur zwei Worte, es sei alles erledigt, das Café schon gekauft, ob sie auch einverstanden sei, er könne es eventuell gleich weiterverkaufen, sie ist außer sich, natürlich will sie, also wo es sei – er ist gar nicht zu sprechen, gibt ihr die Adresse, den Vertrag mache ich mit dem Justizrat heute abend, also entschließe dich, aber ich will ja, sie fällt ihm um den Hals, er ist gar nicht bei der Sache, ihm brennt eine andere Affäre auf den Nägeln, aber damit kann er sich übernehmen, eine Druckerei, halb geschenkt, nur für einige tausend Mark, er dampft ab, heute hat er keine Zeit für Liebe.
Nach Tisch sieht man alte Leute auf der Straße, die man lange nicht erblickt hat. Friedlich ziehen zwei graue Männer einher und setzen ihre
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