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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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sagten sie sich jeden Morgen, wenn es licht wurde. Versunken lungerten Männer mit Schirmmützen an Brückengittern und dösten herunter. Leute ihrer Art saßen in den schummrigen Schenken an blanken Holztischen hinter einem Glas und rauchten. Sie werden nachher in einen Kahn steigen und Gemüse holen und gelegentlich über die Preise nachdenken, meist aber gar nicht denken und nur ihre Kähne dirigieren, sich ab und zu schneuzen, die Mütze zurechtrücken und wissen, daß dies der Thomasquai ist und daß sie auf ihren zwei Beinen stehen.
    An diesem Mittwoch, in dessen Frühe die Regimenter das Städtchen verließen, die Schwerkranken in das Bürgerspital transportiert wurden und die letzten Lazarettinsassen sich für die morgige Abfahrt bereitmachten, an diesem 13.November verkündeten die Straßburger Zeitungen die Bildung eines Nationalrats für Elsaß-Lothringen. Die Zweite Kammer des alten elsaß-lothringischen Landtags nahm die Geschäfte der Landesregierung in die Hand, aber nicht zu feierlich, man wußte gleich, es würde nicht lange mit dieser Regierung dauern, denn am nächsten Montag mittags um zwölf Uhr würden die Franzosen zum Weißturmtor einmarschieren und bei der Gelegenheit auch dem jungen Nationalrat das Lebenslicht ausblasen.
    Am gleichen Tag empfing der Berliner Volksbeauftragte Ebert, ein untersetzter Herr aus der Sozialdemokratie, einen holländischen Pressevertreter, der ihn um zwei Köpfe überragte und sehr elegant gekleidet war; der Kleinere von den beiden teilte dem Größeren mit, daß die Sache der Freiheit in Deutschland Siegestage erlebe. Das deutsche Volk habe gesiegt und die festverankerte Herrschaft der Zollern, Wittelsbacher und so weiter gestürzt. Damit habe Deutschland seine Revolution vollendet. Es waren dies authentische Nachrichten, die dem Volksbeauftragten teils mündlich, also direkt, teils telephonisch zugegangen waren. Mit dem Seufzer einer wirklichen Erleichterung setzte Herr Ebert, mit Vornamen Friedrich, hinzu: »Unser Sieg ist fast unblutig, ich möchte sagen, leicht und vollständig gewesen. Daß die alte Gewalt sich noch einmal zum Kampf um die Macht stellen könnte, scheint mir gänzlich ausgeschlossen.« Der holländische Vertreter erhob sich, sie standen sich auf dem dicken Teppich gegenüber. Der Holländer wagte zu zweifeln. »Es ist beinah zu schön, als daß man es glauben könnte. Man hat bei uns ein Sprichwort, das besagt: das dicke Ende kommt nach, Herr Reichskanzler.« »Auch bei uns«, versicherte ihn der Angeredete, »hat man das Sprichwort, aber bleiben Sie einfach in der Stadt, und sagen Sie, was Sie sehen und ob unser Sieg nicht vollständig ist.« »Gern«, sagte der Pressevertreter und schickte sein Telegramm mit dem heutigen Interview ab.
    Im Laufe dieses Vormittags brachten zwei einfache Männer in Straßburg, ein Registrator und sein Kalfaktor, einen Entschluß zur Ausführung, den sie reiflich erwogen hatten. Der Registrator war Intendantur-Stellvertreter, und er und sein Kalfaktor gehörten derselben Genesendenkompanie des 3. Ersatzbataillons eines Infanterieregiments an. Sie waren behäbige Einheimische und arbeiteten im selben militärischen Büro. Ihre Arbeit ruhte seit Sonntag, dem Zehnten, indem sie, dem allgemeinen Beispiel folgend, zu Hause blieben. Jetzt gingen sie einen Schritt weiter. Sie holten, Registrator und Kalfaktor, aus einem Holz- und Kohlenkeller einen kleinen Handwagen und fuhren damit über die belebte Meisengasse; sie hielten mit ihrem Wagen in einer Querstraße. Da gingen sie die Treppe zu ihrem Büro hinauf, die sie während der letzten Jahre Hunderte Male auf- und abgestiegen waren, der eine in der Uniform eines Beamten, der andere als simpler Muschkot. Jetzt trugen beide ihr Zivil und dachten erleichtert an die verflossene Zeit und alle Schliche und Intrigen, die sie hatten anwenden müssen, um die Zeit so zu verleben und die Treppen auf- und absteigen zu können. Wieviel Geld, Angst, Erniedrigung hatte es gekostet, daß sie nicht versetzt wurden. Jetzt hängten sie in dem kalten Vorzimmer ihre Jacken auf und machten sich in Hemdsärmeln an die Exekution. Sie trugen nacheinander einen großen Tisch, einen Stuhl und einen mächtigen eisernen Kasten die Treppe herunter. Diese drei Gegenstände waren für den Registrator bestimmt. Er brauchte sie für seine Wohnung und für die Aufbewahrung seiner Papiere. Was den eisernen Kasten anlangt, so war er ein rechtlich denkender, ängstlicher Mann, dem der Besitz einer

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