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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wortlos, mechanisch, die Bewegungen einer Schlafwandlerin. Oder die einer sehr alten Frau.
     
    ☺
     
    Seit ich einer von ihnen bin, lassen die anderen mich in Ruhe. Sogar dieses Schwein Robert. Und auch Walser. Kann’s noch gar
     nicht fassen. Nur Vicky schaut mich manchmal so komisch an. So durchdringend und fragend. Natürlich ist nicht alles O.   K., was wir machen und wahrscheinlich weiß sie auch irgendetwas, sie war ja doch mit IHM zusammen, ganz am Anfang.
    Um Robert tut es mir jedenfalls nicht leid. Seit ER dieses Video bei YouTube reingestellt hat, ist der fertig. Ein für alle
     Mal erledigt. Endlich bin ich nicht mehr allein. Es ist ein so krasses Gefühl, die Gruppe zu haben. Und ER tut wirklich alles
     für seine Männer. Und ER verlangt auch alles.
     
    *
     
    Der Notar war ein Mann mit gewaltigen Augenbrauen und einem Lächeln, das ihm ständig in den Augenwinkeln zu sitzen schien.
     Zur Begrüßung streckte er Paula seine riesige Hand entgegen.
    »Frau Brandauer, mein herzliches Beileid. Bitte kommen Sie herein. Wir werden das Ganze so zügig wie möglich hinter uns bringen.«
    Seine Stimme war tief, und er hatte einen ausgeprägten bayerischen Akzent. Die väterliche Aura, die ihn umgab, trieb Paula
     die Tränen in die Augen. Sie betrat den Raum, ein nüchternes Besprechungszimmer ganz in Grau gehalten, mit einem großen grauen
     Tisch, um den acht Stühlestanden. Auf einem Stuhl saß ein Mann, der Paula bekannt vorkam, den sie aber auf die Schnelle nicht einordnen konnte. Als
     sie näher trat, stand er auf und streckte ihr die Hand entgegen.
    »Rechtsanwalt Schmitt, guten Tag, Frau Brandauer.«
    Wortlos legte sie ihre Hand in seine, und als sie ihn ausdruckslos anstarrte, fügte er hinzu: »Ich bin der Finanz- und Anlageberater
     Ihres verstorbenen Gatten.«
    Paula nickte. Dann setzte sie sich auf den Stuhl, den der Notar ihr zurechtgerückt hatte. Die beiden Männer nahmen Platz,
     der Notar machte sich an einem Diktiergerät zu schaffen, es knackte, eine junge Frau kam herein, nickte Paula mit einem scheuen
     Lächeln zu und legte einige Aktenmappen auf den Tisch. Dann wandte sie sich an Paula und fragte etwas, das Paula erst verstand,
     als sie den Satz wiederholte. Ob sie Kaffee wolle. Als Paula nur stumm den Kopf schüttelte, verließ sie den Raum und schloss
     leise die Tür hinter sich. Durch das geschlossene Fenster drangen die Geräusche einer Baustelle herein, das dumpfe Rumpeln
     eines Lasters, ein Presslufthammer, der selbst über die Entfernung und durchs Fenster nervtötend war.
    Wie aus weiter Ferne sah Paula nun, wie der Notar erneut an seinem Diktiergerät herumnestelte, die oberste Unterschriftenmappe
     aufschlug, die Lippen bewegte. Sie betrachtete ihn wie durch eine Glaswand, sein nun ernstes Gesicht, die Fältchen in den
     Augenwinkeln, wo war das väterliche Lächeln hingekommen? Sie musste sich zwingen zuzuhören, immerhin ging es hier um etwas
     Wichtiges, so war es doch, nicht wahr. Paula räusperte sich, setzte sich aufrechter hin, betrachtete nun konzentriert das
     Gesicht des Notars und versuchte, den Wörtern einen Sinn zuzuordnen, doch vergebens. Erst als die beiden Männer sie erwartungsvoll
     ansahen, wusste sie, dass sie etwas verpassthatte. Sie hätte an der richtigen Stelle etwas sagen müssen. Sie räusperte sich erneut und sah von einem zum anderen.
    »Bitte, können Sie das noch einmal wiederholen   … Ich   …«, stotterte sie.
    »Ich bitte Sie, die im vorliegenden Schriftstück gemachten Angaben zu bestätigen, Sie sind Frau Paula Brandauer, geborene
     Sommerkorn, geboren am fünfundzwanzigsten Oktober 1969 in Celle, wohnhaft in Bad Schachen, Lindau.«
    Sie nickte. Das hatte sie verstanden. Was dann folgte, waren Satzfetzen, die in immer kleinere Stücke zerfielen, je länger
     sie zuhörte. Sie musste sich am Riemen reißen, das hier war wichtig, Herrgott nochmal. Aber war es das wirklich? Gütergemeinschaft,
     ein Wort, das sie kannte, flatterte vorbei, verweilte kurz bei ihr und verflüchtigte sich dann.
    Von ihrem Platz aus konnte sie die braunen Blätter einer Hainbuche erkennen. Wenn man Glück hatte, behielten Hainbuchen bis
     ins Frühjahr hinein ihr dichtes rostbraunes Kleid, sie wusste das, sie hatte vor einigen Jahren auch ein paar Hainbuchen pflanzen
     lassen, wie lange war das nun her, nachdem sie in Wien eine Ausstellung der belgischen Symbolisten gesehen hatte, bei der
     unter anderem ein Bild ihre besondere Aufmerksamkeit erregt

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