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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Gabel legte und sich wieder zu Marie setzte, war ihre Miene verschlossen. Während des Telefonats
     hatte sie abwesend geklungen, hatte abwechselnd »Ja« und »Nein« gesagt oder einfach nur geschwiegen. Noch immer ärgerte Marie
     sich, dass just in dem Moment das Telefon geklingelt hatte, als Stella gerade zum Wesentlichen gekommen war.
    Marie nahm den letzten Schluck kalten Tee und verzog das Gesicht. Sie spürte Stellas Blick, deren Miene sich ganz plötzlich
     entspannte, als sie sagte: »Der Tee ist nicht besonders, was?«
    Marie zuckte die Achseln. »Ehrlich gesagt – nein.«
    »Möchtest du vielleicht lieber noch einen Kaffee?«
    Marie jubelte innerlich. Also war doch noch nicht Hopfen und Malz verloren. Erleichtert lächelte sie: »Ja, wahnsinnig gern.«
    Als Stella wenig später zwei dampfende Becher Kaffee auf den Tisch stellte, hatte Marie beschlossen, aufs Ganze zu gehen.
     Sie setzte sich auf ihrem Stuhl aufrecht hin, ein wenig umständlich, und nahm einen Schluck Kaffee.
    »Ich wollte dir vorhin nicht zu nahetreten. Es tut mir leid, wenn ich da   …«, begann sie.
    Stella sah überrascht auf. »Aber nein   … du hast nicht   … Ich   …« Sie fuhr sich durch ihre blonden Haarstacheln. »Erik und ich   … wir   …« Sie verstummte abermals, schien mit sich zu ringen, beugte sich vor und rieb sich das Gesicht mit den Händen. Dann, ganz
     plötzlich, als habe sie einen Entschluss gefasst, sagte sie mit fester Stimme: »Damals, vor vier Jahren, hat Jojo seine Abschiedsparty
     gegeben, er ist für ein paar Jahre in die USA gegangen. Bei der Fete ist eine Menge Alkohol geflossen. Ich habe ziemlich viel
     getrunken   …«
    Maries Herz hämmerte in der Brust. Sie wusste, sie war jetzt ganz nah dran. Gleich würde sie die Wahrheit erfahren. Und dann
     – dann konnte sie Paula vielleicht aus ihrem Loch herausholen. Nicht sofort, das war ihr klar, dafür steckte Paula zu tief
     drinnen. Aber nach und nach, wenn diese unumstößliche Wahrheit den Panzer der Depression zerfressen würde.
    »Erik hat nicht so viel getrunken wie ich. Oder er hat einfach mehr vertragen. Das Ganze fand in Lindau in einer Kneipe statt
     und – na ja – irgendwann hatte ich einfach genug und wollte gehen, da hat Erik mir angeboten, dass ich bei ihm zu Hause übernachten
     könnte. Seine Frau hätte bestimmt nichts dagegen.«
    Marie fühlte ein heißes, ein mächtiges Aufwallen, das ihr fast den Atem nahm. Sie war froh, dass Stella nichterwartete, dass sie etwas erwiderte, denn sie hätte nichts herausgebracht.
    »Aber ich wollte nicht in Eriks Haus übernachten. Also fuhr er mich nach Hause. Und dann ist es einfach passiert.«
    Marie zwang sich, ganz ruhig ein- und wieder auszuatmen.
Dann ist es einfach passiert.
Sie musste an sich halten, um nicht noch weiter nachzufragen, wie genau so etwas »passieren« konnte. Als würde man sich mal
     eben am Arm berühren.
    »Also habt ihr – du und dieser Erik – miteinander geschlafen.« Marie kam es vor, als würde sie die Worte überdeutlich formulieren.
    »Wie es so ist, wenn Alkohol im Spiel ist   …«
    Marie hatte Mühe, jetzt nicht mit den Zähnen zu knirschen.
    »Aber ihr wart   … verliebt?« Die Alles-oder-nichts-Frage. Mit hämmerndem Herzen wartete Marie auf die Antwort.
    Nach einer Weile sagte Stella schließlich – sie schien Mühe zu haben, die richtigen Worte zu finden: »Aber nein. Das war   … ist ja das Schlimme.«
    »Du warst also nicht in ihn verliebt, aber er in dich?«
    »Nein. Er war auch nicht in mich verliebt. Wir waren eigentlich nur zwei angetrunkene Idioten   …«
    Marie atmete hörbar aus. Erstaunt sah Stella sie an.
    »Was ist mit dir?«
    »Na ja, das   … das erleichtert die Sache ja ungemein   … die Sache mit dir und Jojo, meine ich.«
    Stella wandte sich wieder ihrer Tasse zu. Der Kaffee war längst kalt geworden. Sie nahm einen Schluck und verzog das Gesicht.
    »Erik war ein anständiger Kerl. Er hat Unterhalt gezahlt – für die Kleine und für mich. Viel mehr, als er hättezahlen müssen. Er hatte eine eigene Firma, es ging ihm gut, finanziell, meine ich. Zumindest habe ich das immer geglaubt.«
    »Und jetzt ist er tot. Aber – entschuldige die Frage – wie kommst du denn nun zurecht?«
    »Das ist es ja, was die anderen so gegen mich aufgebracht hat. Erik hatte eine Lebensversicherung zugunsten von Cheyenne abgeschlossen.
     Und ich habe jetzt eine Million Euro auf dem Konto.«
    Marie pfiff durch die Zähne. Gleichzeitig

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