Novemberasche
das? Dass sie glaubt, dass jemand nachgeholfen hat?«
Stella zuckte die Achseln. Dann machte sie eine Bewegung, als wollte sie das Thema wechseln. »Ach, ich weißauch nicht. Aber wenn du mich fragst, dann hatte der Junge ein Problem.«
»Und was für eines?«
»Der hing dauernd am Computer, war zu nichts anderem mehr zu gebrauchen. Dabei war er vorher ein so brillanter Schüler.«
»Aber hängen nicht die meisten Jugendlichen ziemlich viel vor dem PC rum?«
»Wahrscheinlich. Jedenfalls hat Erik – der hatte eine Softwarefirma – dem Jungen irgendwann mal ein Spiel geschenkt. Ich glaub,
da hat sich Tommy ziemlich reingesteigert. Eva war jedenfalls nicht gerade begeistert davon, dass ihr Junge immer diesen Egoshooter-Mist
gespielt hat.«
Marie schwirrte der Kopf. Cheyenne ist nicht Eriks Tochter, und Eva hatte einmal einen Sohn.
Hatte
.
*
Auf dem Radarfoto waren zwei Personen zu sehen. Bei der Person auf dem Beifahrersitz handelte es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
um Leander Martìn; die Person hinter dem Steuer war eine Frau mit langen Haaren, deren Gesichtszüge kaum erkennbar waren,
da sie eine große dunkle Sonnenbrille trug und eine Hand vor den Mund hielt. Bei dem Wagen handelte es sich um ein kleineres
Modell, wahrscheinlich um einen Toyota Corolla. Das Nummernschild war allerdings nicht lesbar, es war geschwärzt. Was aber
das eigentlich Verblüffende an dieser Aufnahme war, war die Uhrzeit: Das Foto war um 23.57 Uhr geschossen worden. Um diese Zeit war Oberstudienrat Walser längst zu Hause gewesen.
Möller grinste. »Walser mit Perücke? Das denkt ihr aber nicht im Ernst.«
»Nee, das sieht nicht nach ’nem verkleideten Kerl aus. Niemals.«
»Dann haben wir jetzt aber ein Problem.«
»Das. Und keinen Täter mehr.«
»Also geht alles wieder von vorne los.« Barbara lehnte ganz hinten an der Wand.
»Walsers Alibi ab dreiundzwanzig Uhr ist absolut wasserdicht.« Sommerkorn stand vorne vor versammelter Mannschaft. »Er war
sogar noch vor elf zu Hause, denn aus den Verbindungsdaten seines Telefonanschlusses geht hervor, dass er um 22.54 Uhr mit seinen Eltern in Stuttgart telefoniert hat. Das bestätigen die Eltern, die Ehefrau – und die Telefondaten.«
»Also hatte er eine Komplizin?«
Stille breitete sich bei den Mitarbeitern der SOKO Martìn aus und jeder sann einen Augenblick über diese neue Entwicklung
nach. Martin Inkat brach das Schweigen und brachte zum Ausdruck, was jeder im Raum dachte.
»Wenn Leander Martìn um 23.57 Uhr am Leben ist und Walser sich ab dreiundzwanzig Uhr zu Hause befindet: Wie kommen dann die Haare in seinen Kofferraum und
seine Kippe auf den Friedhof?«
»Hat schon mal jemand daran gedacht, dass Walser die Wahrheit gesagt haben könnte?«, fragte Barbara.
»Was meinst du?«
»Na, über die ominöse Rothaarige, die ihn in den
Rosenhof
gelockt hat. Hier fährt sie.« Barbara deutete auf das Foto an der Magnettafel.
»Wir haben da eine Person, die rotblondes Haar hat und ziemlich schlecht auf Leander zu sprechen war.« Martin Inkat klopfte
mit dem Kugelschreiber auf den Tisch.
»Du meinst aber nicht …«
»… die kleine Viktoria.«
Alle Augen richteten sich erneut auf die grobkörnige Fotografie.
»Ausschließen können wir das natürlich nicht. Aber viel ist auf dem Bild nicht von ihr zu sehen. Auf jeden Fall werden wir
abklären, welches Auto die Eltern haben.«
Gemurmel machte sich im Raum breit, das aufbrandete und wieder abebbte. Sommerkorn klopfte an die Tafel.
»Wir werden uns zunächst auf zwei Dinge konzentrieren: Auf den Wagen. Dazu ermitteln wir in Leanders Umfeld, wer so einen
Toyota fährt. Ich bin mir mittlerweile ganz sicher, dass der Täter eine enge Beziehung zu Leander hatte. Diese Inszenierung
auf dem Friedhof – der Zettel, die Fesselungsspuren – all das deutet darauf hin, dass da jemand eine starke persönliche Abneigung
gegen Leander hatte.«
»Einen psychisch kranken Täter schließt du aus?« Barbara betrachtete Sommerkorn gespannt.
»Ich schließe eine Willkürtat aus. Ich glaube fest daran, dass Leander den Täter gut kannte und dass dieser in Form der Hinrichtung
seinen Hass gegen Leander auslebte.«
»Also Hass als Motiv?«, fragte Inkat.
»Hass, ja. Aber nicht grundloser Hass. Es muss eine Beziehung gegeben haben. Also Hass auf der Grundlage von Eifersucht. Oder
Rache.«
»Und das andere? Du sagtest, wir konzentrieren uns auf zwei Dinge. Den Wagen
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