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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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musste so bald wie möglich nach Weißenau, sie musste Paula
     sehen und ihr die Nachricht überbringen. Vielleicht würde diese Wahrheit Paula ein klein wenig helfen, und sie konnte eine
     Zukunft aufbauen, in der Gewissheit, dass ihr das Glück der Vergangenheit blieb und dass es keine jahrelangen Lügen gegeben
     hatte. Erik hatte sie – und nur sie – geliebt und darüber hinaus eine Pflicht erfüllt, der er sich nicht hatte entziehen können,
     weil er tatsächlich der anständige Kerl gewesen war, den Paula in ihm gesehen hatte.
    Marie fuhr zusammen, als sie dicht hinter sich Schritte hörte. Sie drehte sich um und sah in das mürrische Gesicht eines alten
     Mannes, der sich auf die rote Bank hinter ihr setzte und ihr einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. Sie ging den Weg zurück, den
     sie gekommen war. Auf einem über die Mauer auf den See hinausragenden Ast, der wie ein abgewinkelter Arm zum Sitzen einlud,
     wippte ein rothaariger Junge auf und ab.
    Dann waren da noch all die anderen Informationen, die sie gesammelt hatte und die sie nicht so recht einordnen konnte. Ron,
     dem Erik offenbar eine Menge Geld geliehen hatte, das er noch nicht zurückgezahlt hatte und das jetzt Paula zustand. Und wie
     verhielt sich das mit der Lebensversicherung, rein rechtlich? Was war mit Rons Verdacht,dass Stella etwas mit Eriks Unfall zu tun hatte? Marie schwirrte der Kopf. Was sollte sie mit all diesen Informationen nur
     anfangen? Wie sollte sie jetzt weiter vorgehen, sollte sie überhaupt weiter vorgehen? Schließlich hatte sie nun herausgefunden,
     was sie wissen wollte. Natürlich könnte sie nochmal mit Sommerkorn über alles reden, ihm das, was sie herausgefunden hatte,
     erzählen. Sicher wüsste er besser, was zu tun wäre. Schließlich hatte er es ständig mit Informationen zu tun, die man irgendwie
     ordnen und auswerten musste. Ihr fiel wieder der letzte Satz von Lady Helen ein, den sie auf der Vernissage gesagt hatte.
     Was lief da zwischen ihr und Sommerkorn?
    Marie war inzwischen am
Hotel Bad Schachen
angelangt und steuerte auf den Landesteg zu. Das Hotel würde erst im Frühjahr wieder seine Türen öffnen. Die von gestutzten
     Platanen gesäumte Terrasse lag verlassen da, von vereinzelten braunen Blättern geschmückt. Eine Stimmung wie im Fin de Siècle,
     dachte Marie. Elegant, dekadent und auch ein wenig traurig. Maries Blick streifte die pfirsichfarbene Fassade, die unzähligen
     Balkone mit ihren weißen Brüstungen, die Fenster mit ihren heruntergelassenen Rollläden, die wie geschlossene Lider aussahen.
     Und über allem schwebte ein quadratisches Türmchen mit leuchtend grünem Kupferdach. Links am Weg verströmten weiße Blütenknäuel
     einen leisen und süßen Duft. Irgendwie spielt die Natur verrückt, dachte Marie. Blütenzauber im Dezember! Sie betrat den hölzernen
     Steg, der weit auf den See hinausführte. Ihre Schritte hallten in der trägen Stille des Vormittags. Hinter dem Häuschen neben
     der Landungsbrücke blieb Marie stehen, schloss einen Moment lang die Augen und genoss die Wärme auf ihrem Gesicht. Was für
     ein Ort der Ruhe jetzt im Winter. Sie blinzelte und sah vor sich die Lindauer Insel aus dem Dunst herausragen. Am Rand erkannte
     sie die Silhouette des Pulverturms, danebendie ehemalige Luitpoldkaserne, die man in ein Dienstleistungszentrum verwandelt hatte. Und noch etwas weiter links die Türme
     der Stephanskirche und des Münsters
Unserer Lieben Frau
.
    Im Vorübergehen warf Marie noch einen Blick ins Wasser. Jetzt schien die Sonne bis auf den Grund und beleuchtete eine Sandlandschaft,
     die an eine Miniaturwüste erinnerte. Schwemmholz lag da und warf seltsame Schatten auf diese Unterwasser-Sahara. Maries Gedanken
     kehrten wieder zurück zu Eva. Ja, dachte sie, ich möchte mit ihr sprechen, vielleicht kann ich ihr ja irgendwie helfen. Sie
     warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und schritt rascher aus.
     
    ☺
     
    Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich mich ganz unauffällig verhalte, lassen sie mich vielleicht in Ruhe. Und wenn ich
     mich von Vicky fernhalte. Aber seit der Sache mit dem Penner weiß ich, dass sie zu allem fähig sind.
     
    *
     
    Die Wände des winzigen Zimmers waren fast ganz von Twilight-Postern bedeckt. Edward und Bella waren auf den meisten zu sehen,
     aber es gab auch welche mit mehreren Personen.
    »Hallo, Viktoria!« Sommerkorn und Barbara waren an der Tür stehen geblieben. Viktoria saß an ihrem Schreibtisch, hatte sich
     halb zu ihnen

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