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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Sie’s sehen?« Viktoria zog den Laptop, der auf dem Schreibtisch stand, zu sich heran und klappte ihn auf. Ein paar
     Tastenschläge später lief ein Kurzfilm vor ihnen ab, dessen Botschaft nicht eindeutiger hätte sein können.
    Barbara seufzte. »Eine ziemliche Gemeinheit. Dieser Thomas ist schwul, und jemand hat dieses Filmchen zusammengeschnitten,
     damit jeder Bescheid weiß.«
    »Thomas ist ungefähr so schwul wie eine mathematische Formel. Wenn Sie mich fragen, hat der sich weder für Jungs noch für
     Mädels interessiert. Der hatte ganz andere Sachen im Kopf. Er war lange Zeit unser Primus. Ein Außenseiter, ein richtiger
     MOF, auf dem alle mehr oder wenigerherumgehackt haben.« Sie seufzte und schloss den Laptop wieder. »Auf jeden Fall war er nach diesem Video auf unserer Schule
     abgestempelt. Mir hat der voll leidgetan. Und dann ist er ja auch weg, auf eine andere Schule.«
    »Und auf welche Schule geht er jetzt?«
    »Keine Ahnung.«
    Sommerkorn stand auf. Legte die Liste vor Viktoria hin. »Wenn Sie bitte noch bei jedem den Nachnamen vermerken.«
    »Oh? Klar doch   … Hab ich voll verpennt.«
    Wieder beugte Viktoria sich über das Blatt und malte mit ihren runden Kringeln die Nachnamen dazu. Dann reichte sie Sommerkorn
     den Zettel. Sie wirkt erleichtert, fast entspannt, dachte Sommerkorn.
    »Ich bin ehrlich froh, dass die jetzt endlich von der Bildfläche verschwunden sind«, sagte sie.
    Sommerkorn und Barbara verabschiedeten sich von Viktoria und ihrer Mutter, die sie zur Tür begleitete. Erst auf der Treppe
     blickte Sommerkorn noch einmal auf den Zettel. Las die Nachnamen. Und erstarrte.
     
    ☺
     
    ER will, dass ich in die Ziegelgrube komme. »Wir müssen reden«, sagt ER. »In Ruhe.« Vielleicht wollen sie sich mit mir versöhnen.
     
    *
     
    Sommerkorn scrollte durch die Pfade, tat ein paar Tastenschläge, machte einen Doppelklick mit der Maus.
    »Hier«, sagte er.
    »Aber   … Was bedeutet das denn?« Barbara stotterte. Sie konnte ihren Blick nicht von dem Foto auf dem Bildschirm abwenden.
    ›Thomas Kreutzberg‹ stand auf dem Grabstein. Das war alles. Kein Datum, kein Sinnspruch, nur der Name.
    »Und du glaubst, dass dieser Thomas Kreutzberg der Junge ist, der zu Leanders Bande gehört hat?«
    Sommerkorn antwortete nicht gleich. Seine Augen verharrten auf der Schrift, glitten dann über den grauen Stein, das kleine
     Bäumchen, das mit Glaskugeln behängt war, über den Kranz aus Kiefernzapfen, der an den Stein gelehnt stand.
    »Ja«, sagte Sommerkorn schließlich. »Thomas Kreutzberg, das kann kein Zufall sein.«
    »Noch ein Toter, der in Zusammenhang mit Leanders Tod, vielleicht auch mit Matthias’ Verschwinden steht.«
    Zehn Minuten später hatten Sommerkorn und Barbara erfahren, dass der Junge im Oktober von einer Autobahnbrücke im Argental
     gesprungen war. Den Fall hatte die Kripo Ravensburg bearbeitet und ihn als Selbstmord zu den Akten gelegt. Einzig die Tatsache,
     wie der Junge von Friedrichshafen ins Argental gekommen war, hatte die Beamten eine Weile irritiert, doch war man abschließend
     der Meinung gewesen, er sei per Anhalter gefahren.
    »Wir müssen mit den Eltern dieses Jungen reden.«
    »Mit der Mutter. Sie heißt anders als der Junge. Warte mal, wo steht das nochmal   … Hier: Imhoff. Sie ist allein erziehend.«
    »Wo wohnt sie?«
    »Hier in Friedrichshafen. Hofener Straße.«
    Fünf Minuten später saßen Sommerkorn und Barbara wieder im Wagen, der Zettel mit der Adresse von Thomas’ Mutter klemmte unter
     der Sonnenblende. Sie fuhren unter der Bahnlinie durch, am Kreisverkehr mit der roten Nadel bogen sie in die Eugenstraße ein.
     Vor dem Haus in der Hofener Straße hielten sie.
    »Ich habe ein komisches Gefühl«, sagte Barbara.
    »Ich auch«, sagte Sommerkorn.
    Erst in diesem Moment fiel Sommerkorn ein, dass er noch jemanden kannte, der in diesem Haus wohnte.
    »Das ist doch   … Eriks…«, Sommerkorn räusperte sich. »Die Frau, mit der Erik was hatte, wohnt auch hier.«
    »Ach nee.«
    »Doch.«
    Fünf Minuten später mussten sie feststellen, dass niemand auf ihr Klingeln reagierte. Wiederum zwei Minuten später ging die
     Haustür auf, und eine Frau mit kurzen hellblonden Stoppelhaaren, die Sommerkorn sofort als Stella Siebert erkannte, kam heraus.
     Sie trug eine große Sporttasche. Sie schien ihn nicht wiederzuerkennen, sie hatten sich ja auch nur kurz auf Eriks Trauerfeier
     gesehen. Sommerkorn zögerte einen Moment.
    »Entschuldigen Sie. Wir

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