Novemberasche
umgewandt und maß sie mit gleichgültigem Blick. In ihren Augen war weder Beunruhigung noch Erstaunen zu sehen.
Auch heute trug sie ihr rotblondes Haar zu zwei dicken Zöpfen geflochten.
»Wir müssen noch einmal mit dir sprechen.«
Viktoria zuckte die Achseln, sagte aber nichts.
»Du hast ein paar Sachen gesagt, die jetzt vielleicht wichtig für uns sein könnten.«
Immer noch keine Reaktion. Sommerkorn tat einen Schritt ins Zimmer, und da es außer dem Bett und Viktorias Schreibtischstuhl
keine Sitzgelegenheit gab, fragte er etwas hilfslos: »Wo können wir uns unterhalten? In Ruhe, meine ich.«
Viktoria zuckte erneut die Achseln und sah sich ein wenig ratlos um.
»Hier. Nehme ich an.«
»Kann ich mich setzen?«
»Wieso nicht.«
»Du hast uns letztes Mal von ein paar Mitschülern erzählt, die unter Leander und seiner, sagen wir mal: Bande gelitten haben.
Erinnerst du dich?«
Viktoria hatte sich wieder umgedreht. Sie saß nun mit dem Rücken zu Sommerkorn, der steif auf dem Bettrand saß, und Barbara,
die immer noch im Türrahmen stand, weil einfach kein Platz im Zimmer war. So wird das nie etwas, dachte Sommerkorn.
»Hier ist es ziemlich eng für drei Leute. Wir können unsere Unterhaltung auch bei einem kleinen Spaziergang fortsetzen.«
Auf einmal fuhr Viktoria herum, und die Gleichgültigkeit auf ihrem Gesicht war einer unverhohlenen Aggression gewichen.
»Sie glauben doch wohl nicht, dass ich mich noch einmal mit Ihnen blicken lasse! Das letzte Mal hat mir genug Ärger eingebracht.
Hätte ich nur meinen Mund gehalten.«
Sommerkorn und Barbara wechselten einen kurzen Blick.
»Du hast uns von deinem Verdacht erzählt, dass Leanderund seine Kumpel zwei andere Jungen, Selim und Benjamin, schikaniert haben.«
Viktoria reagierte nicht.
»Die beiden haben das bestätigt. Und vielleicht hilft es dir zu wissen, dass sich Thorsten Ehlers und Sven Radlowski, zwei
von Leanders Freunden, in Haft befinden und dass gegen sie bereits Anklage erhoben wurde. Thorsten und Sven werden jedenfalls
längere Zeit niemanden mehr schikanieren.«
Viktoria drehte sich langsam zu ihnen um.
»Und was ist mit dem Wölfle? Ist der wieder da?«
»Nein. Aber wenn er auftaucht, wird er sofort vernommen und dann vermutlich ebenfalls festgenommen.«
Ein paar Augenblicke schien es, als lauschte Viktoria aufmerksam der Stille, die auf Sommerkorns Worte folgte.
Ihre Miene war reglos, als sie fragte: »Was wollen Sie wissen?«
»Wir möchten dich bitten, uns eine Liste all der Personen anzufertigen, die deiner Meinung nach von der Bande in irgendeiner
Weise gemobbt worden sind. Wir müssen mit den Opfern sprechen. Wir sind davon überzeugt, dass sich vielleicht noch ein paar
Anklagepunkte hinzuaddieren lassen.« Das ist nur die halbe Wahrheit, dachte Sommerkorn. Wir sind immer noch auf der Suche
nach einem Mörder – oder einer Mörderin.
Er betrachtete Viktoria forschend. Auf den ersten Blick hatte sie keine Ähnlichkeit mit der Frau auf dem Radarfoto, ihr Haar
war zwar lang, aber doch irgendwie völlig anders, sie trug keinen Pony und außerdem sah es auf dem Foto so aus, als sei die
Frau viel kleiner als Viktoria, die mindestens 1,75 m maß. Viktoria schied als Verdächtige eher aus. Selbst wenn es ihr gelungen sein sollte, sich an jenem Abend aus der Wohnung
zu schleichen, dann stellte sich immer noch die Frage: Mit welchem Auto war sie gefahren?Ihre Eltern fuhren einen älteren Mercedes, und der Wagen auf dem Foto war eben nun mal ein Toyota. Das Mädchen hatte noch
keinen Führerschein, also kam ein Leihwagen auch nicht in Frage.
Viktoria zögerte nur ein paar Sekunden, dann begann sie etwas auf einen Spiralblock zu schreiben. Sie hielt abrupt inne und
schrieb dann noch einen Namen dazu, riss die Seite ab und reichte sie Sommerkorn.
»Danke.« Sommerkorn überflog die Namen, die in einer rundlichen Schrift beinahe wie gemalt aussahen. Fünf Namen hatte Viktoria
notiert. Beim letzten stutzte Sommerkorn.
»Dieser Thomas. War das nicht der Junge, von dem du das letzte Mal sagtest, er sei auch mit Leander und den anderen zusammen
gewesen?«
Viktoria stieß ein Lachen aus, das bitter klang. »Ja, zunächst schon. Aber dann … Wenn Sie mich fragen, haben die den doch nur ausgenutzt. Der kennt sich irre gut mit Computern aus. Und dann, nachdem das
mit diesem Video auf YouTube war, haben sie ihn fallen lassen, von heute auf morgen.«
»Was war denn das für ein Video?«
»Wollen
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