Novembermond
die Wohnung s tür ab und ging nach unten, wobei mein Herz lauter klopfte, als es sollte.
„Guten Abend.“ Er nickte gleichgültig und machte keine Anstalten, mir die Hand zu geben.
A ttraktiv, arrogant und d oppelt a n strengend.
„Sie sind sehr pünktl ich“, stellte ich anstelle einer Begrüßung fest und hatte schon wieder meine Manieren vergessen.
Er zog langsam seine Augenbrauen in die Höhe und musterte mich hochmütig. Damit konnte er b e stimmt seinen runzligen Diener beeindrucken. Ich hob mein Kinn und starrte zurück.
Plötzlich lächelte er. Widerwillig, wie ich fand. „Ich hoffe, dass dies kein allzu ungewöhnliches Erlebnis für Sie ist“, erwiderte er höflich. „Ich habe im Palme n garten einen Tisch reserviert. Vorausgesetzt, meine Wahl findet Ihre Zusti m mung.“ Dieser Julian würde seine Manieren bestimmt nicht vergessen. Aber für meinen Geschmack war seine Höflichkeit völlig übertrieben . Sie passte nicht zu seinem Alter .
Der Palmengarten war ein absolut angesagtes Restaurant in Berlin-Mitte, das wusste sogar ich. N icht nur sündhaft teuer, sondern obendrein mit Ste r nen und Kochmützen überhäuft und immer ausgebucht. Wie war es ihm gelu n gen, dort kurzfristig an einem Samstagabend einen Tisch zu reservieren? Vie l leicht hatte ich mit meiner Kleidung doch einen Fehler g e macht.
Endlich fiel mir ein, dass er immer noch auf eine Antwort war tete. „Sicher. Aber Sie hätten mich von Ihrer Wahl früher in Kenntnis setzen müssen“, sagte ich, wobei ich versuchte, mich seiner förmlichen Sprache anzupassen. „Dann hätte ich mich … angemessen kleiden können.“ Meine Stimme klang viel schärfer als beabsichtigt. Seinen kühlen und distanzierten Tonfall zu treffen, würde ich unb e dingt noch üben müssen. Ganz nebenbei lieferten ihm meine Worte die Steil vorlage, mich ungeniert mustern zu dürfen. Und viel zu inte n siv.
Zu meinem Ärger spürte ich, wie ich rot wurde , und ärgerte mich prompt noch mehr. Ich hatte völlig verdrängt, wie nervös er mich machte.
„Machen Sie sich keine Gedanken. Ihre Kleidung ist vielleicht etwas gewöh n lich, aber durchaus angemessen.“ Sein Blick w urde ausdruckslos . „Und Ihre Schön heit ist sowieso nicht von Ihrer Kleidung abhängig.“
Ich starrte ihn an. Sollte das jetzt ein Kompliment sein oder eine Beleid i gung? Oder beides?
Julian hatte meine Reaktion nicht abge war tet, er war an mir vorbei zur Beifa h rerseite g e gangen, um mir die Wagentür zu öffnen. Das imponierte mir gegen meinen Willen. Während ich in dem Mercedes Platz nahm, dachte ich an Th o mas , sein ungeduldiges Hupen, wenn er mich auf Kosten seiner wertvollen Zeit irgendwo abholte, was selten genug vorgekommen war .
Im Wagen roch es neu, ein Blick auf den Kilometerzähler überzeugte mich d a von, dass ich recht hatte . Das Innere war völlig unpersönlich. Passend zum Fa h rer.
Im Gegensatz zu seinem Auto konnte man in meinem auf und unter den Sitzen genug zum Lesen, Essen und Trinken finden, um unbeschadet einen zwe i tägigen Stau überstehen zu können. Ich lehnte mich in den weichen Ledersitz zurück, betrachtete die holzgetäfelte und verchromte Innenausstattung und ve r suchte, meine Nervosität zu vertreiben. Es konnte doch nicht nur am Aussehen liegen, dass ich so heftig auf ihn reagierte. Immerhin hatte ich diesmal keine Pan i kattacke bekommen. Wenn das kein Fortschritt war .
Unterwegs schwiegen wir, als h ätten wir bereits ausgehandelt, unser Gespräch erst im Restaurant zu führen. Julian sah mich nicht ein einziges Mal an, so dass ich mich fragte, war um er überhaupt darauf bestanden hatte , mit mir au s z u gehen. Seine Mimik war so lebendig wie Stonehenge, und er machte nicht den Eindruck, als würde ihm dieser Abend Spaß machen. Ich wäre auch lieber zu Hause und vor dem Fernseher. Mit einem Glas Ro t wein und einer Tüte Chips. Vor allem, weil ich vergessen hatte , eine meiner Lieblingsserien aufzunehmen. Selbst die Spor t schau oder die zwanzigste Wiederholung von Knut, der Berliner Eisbär wäre mir lieber, als den Abend mit ihm verbringen zu müssen. Kurz tr a fen sich unsere Blicke. Die Ausstrahlung eines Gefrierschranks? Ein ganzer Ei s berg wäre wohl passender.
Julian fuhr schnell und sicher durch den dichten Verkehr, durch Schöneberg und Kreuzberg bis nach Mitte. Von der Friedrichstraße bog er ab, fuhr den Ge n darmenmarkt entlang, vorbei am Hotel Aeternitas, zu dem das Restaurant gehö r te, dann um die nächste
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