Novembermond
ganz anders als dich. Außerdem habe ich bisher nur mit Andrej gesprochen. Julians Meinung kenne ich nicht, und er würde eine solche Entscheidung sowieso nie allein treffen. Das ist eine Angelegenheit des Inneren Kreises.“ Er zögerte. „Außerdem fange ich an zu glauben, dass Andrej recht hat, wenn du so reagierst wie jetzt. Hast du überhaupt kein Verantwortungsgefühl?
„Guter Gott!“ Christians Stimme triefte vor Verachtung. „Du redest fast wie mein Vater!“
„Mein Vater hat sich vom Acker gemacht, nachdem er mir diesen altmodischen Namen verpasst hat. Dein Vater wollte doch nur, dass du mit Ecstasy aufhörst. Und die Schule zu Ende bringst.“
„Ja. Damit ich in diesem bayrischen Kaff versauere. Stell dir das mal vor.“
„Lieber nicht.“ Richard grinste plötzlich. „Ich bin verdammt froh, dass du in Berlin bist. Auch wenn du dich immer mehr zu einer Drama-Queen entwickelst. Du weißt doch, dass ich dir helfen will. Ich kann es kaum erwarten, bis du endlich wirklich zu uns gehörst. Aber du bist es, der sein Versprechen gebrochen hat. Ich hatte dir gesagt, du sollst dich von den Toren fernhalten, weil sie für Menschen viel zu gefährlich sind.“
Richards Standpauke ging Christian ganz schön auf die Nerven. Genauso wie der Wust an überflüssigen Regeln und Verboten der Gemeinschaft. Aber wie gründlich sein Versuch schiefgegangen war, auch Richard davon zu überzeugen, wusste er inzwischen selbst.
„Du predigst“, meinte er beleidigt, aber Richard redete einfach weiter.
„Deine Neugier auf Dämonen war stärker als alles, was du mir versprochen hast. Und damit nicht genug hast du in der Klinik von Vampiren geredet und so viel Aufmerksamkeit geweckt, dass diese Psychologin bis nach Schwanenwerder gefahren ist, um mit Julian zu sprechen. Wer weiß, ob sie nicht doch misstrauisch geworden ist.“
Christian hob die Schultern. „Ich musste mit ihr sprechen. Für meine Rettung.“
Richard schüttelte den Kopf. „Sie hat dich nicht gerettet“, berichtigte er. „Und ich hätte dir auch nicht helfen können, dafür reichen meine Kräfte längst nicht aus. Es war Julian, der dich gerettet hat. Ist dir überhaupt klar, dass du ihm dein Leben verdankst? Sogar viel mehr als das!“
Das Dankbarkeitsthema hasste Christian erst recht. Er erinnerte sich, wie er im Krankenhaus zu sich kam. An Julian, der an seinem Bett wartete. An seine harten Augen. Und seine nicht minder harten Worte.
„Wenn er mich vorher gewandelt hätte oder du, wäre das alles nicht passiert.“
„Du forderst immer eine Sonderrolle“, stieß Richard erbittert hervor. „Und du glaubst, dich an keine Regel halten zu müssen. Dabei haben unsere Regeln durchaus ihren Sinn – was auch du erkennen würdest, wenn du einmal über sie nachdächtest. Eine Wandlung ist nur im Einverständnis mit der Gemeinschaft möglich. Aber das willst du nicht verstehen.“
„Nein, du hast recht. Das interessiert mich nicht.“ Christians Gesichtsausdruck veränderte sich während Richards Ausbruch und wurde weicher. „Alles, was ich will, ist für immer mit dir vereint zu sein. Dich lieben. Nur dich! Bis in alle Ewigkeit.“ Er hob sein Gesicht und sah, wie der Ärger aus Richards Gesicht verschwand.
Richard kapitulierte. Er strich Christian sachte über die Wange seines makellosen Gesichts und küsste ihn zärtlich. Christian dankte ihm mit einem strahlenden Lächeln. Er erwiderte Richards Kuss und schmiegte sich an ihn. Als er Richards Hände auf seinen Hüften spürte, bog er sich bereitwillig zurück und bot ihm seine Kehle an.
Christian atmete heftig, sein Gesicht glühte. Ihre private Feier anlässlich seiner Rettung dauerte nun schon einige Stunden, und sie fand ausschließlich in Richards Bett statt. Zwischen mitternachtsblauen, seidenen Laken, denn Blau war Christians Lieblingsfarbe.
Sie waren ein schönes Paar, fand Christian. Richard so dunkel wie er selbst blond, mit lockigem, halb langem Haar und blauen Augen, wenn auch heller und längst nicht so leuchtend wie seine eigenen. Richard hatte eine hohe, breite Stirn, einen breiten Mund und ein eckiges Kinn. Ein Gesicht voller Gegensätze. Und sehr attraktiv.
„Am liebsten wäre es mir, wenn du mich wandeln würdest.“
„Mann, du gibst aber auch nie Ruhe!“, sagte Richards nachsichtig.
„Nicht, wenn es um unsere Zukunft geht.“
„Davon abgesehen, dass ich gegen alle Regeln verstoßen würde, halte ich das für keine gute Idee.“ Nach einer Pause, in der er
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